Keiner Ideologie verpflichtet
Ein lebendiges Feld an Möglichkeiten
Die Suche nach Unerhörtem
Neue Musik – in der Kirche?
Musikalische Widerhaken in der Wiener Operette
Verantwortungsvoller Umgang mit der Operette
Eine kulturgeschichtliche Einordnung der Wiener Operette
Kurzschlussartige Übertragungen …
Wer ist der „Chef“?
texte
Zu meinen Kompositionen
Keiner Ideologie verpflichtet
Mit meiner Musik fühle ich mich nicht einer bestimmten Ideologie verpflichtet; vielmehr ist die Fülle an musikalischen Sprachen, an Ausdrucksformen, an aktuellen Kompositionstechniken die wichtigste Grundlage meiner musikalischen Phantasie.
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Ein breit gefächertes Ausdrucksspektrum
Ich versuche, mir durch Einbeziehung verschiedenster musikalischer Tendenzen unserer Zeit ein breit gefächertes Ausdrucksspektrum zu erschließen und so meiner Musik ein möglichst abwechslungsreiches Profil zu geben. Dabei geht mir stets darum, trotz aller Verschiedenheit der eingesetzten Mittel eine einheitliche musikalische Sprache zu verwirklichen. Diese ist häufig von tänzerischer Rhythmik erfüllt, der immer wieder ametrische Klangfelder gegenüberstehen; und wenn die Harmonik meist tonal ist, so kippt sie doch immer wieder ins Atonale.
Synthese unterschiedlicher Elemente und Strömungen
Mein primäres Ziel ist es nicht, noch nie da gewesenes „Neues“ hervorzubringen; stattdessen bemühe ich mich, das Spannungsfeld klanglicher Möglichkeiten zwischen einfachen Dreiklängen und scharfen Dissonanzen oder Clustern, zwischen einstimmiger Melodik und komplexer Polyrhythmik, zwischen traditioneller Tonerzeugung und experimentellen Spielweisen bekannter Instrumente bis hin zum Einsatz elektronischer Klänge zu erforschen. In der unerschöpflichen Vielfalt möglicher Synthesen unterschiedlicher Elemente und Strömungen liegt für mich das Neue, Spannende aktueller Kunst.
Zwischen allen Stühlen…
Wenn man danach strebt, das unendliche Spektrum an Möglichkeiten Neuer Musik in seiner ganzen Vielfalt abseits ideologisch festgefahrener Positionen einzufangen, und wenn man bemüht ist, zwischen gegensätzlichen, einander ausschließenden musikalischen Standpunkten zu vermitteln, so gerät man unweigerlich in Gefahr, eingeschworene Zielgruppen zu verfehlen und „zwischen allen Stühlen“ zu sitzen.
Genau dieser Platz ist es, der mich interessiert.
Kunst ist ein lebendiges Feld von Möglichkeiten
Die Beurteilung von Kunst erfolgt letztlich beim Einzelnen, also im Bereich der Subjektivität. Das zu akzeptieren fällt manchmal schwer, darin ist aber die Sinngebung der Kunst schlechthin zu suchen: als lebendiges Feld von Möglichkeiten, in welchem Wertigkeiten grundsätzlich anerkannt werden müssen, aber nicht verabsolutiert werden können.
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Als Komponist fühle ich mich von zahlreichen Tendenzen und Klangwelten angezogen und bin immer wieder bestrebt, verschiedenste Einflüsse auf eine persönliche Weise miteinander zu verbinden.
In allen meinen Stücken bemühe ich mich um ein möglichst breites Spektrum klanglicher Möglichkeiten, vom einfachen Dreiklang bis zu scharfen Dissonanzen oder Clustern, von komplexer Polyrhythmik bis zu einstimmiger Melodik, von traditionellen Spielweisen bekannter Instrumente bis zum Einsatz elektronischer Klänge.
Oft versuche ich in meinen Kompositionen, widerstrebende Kräfte der Neuen Musik zu einer persönlichen Tonsprache zu verbinden. Sie ist häufig von pulsierender Rhythmik erfüllt und dann doch immer wieder von ametrische Klangflächen durchzogen; die Harmonik ist meist freitonal, kippt aber immer wieder ins Atonale; und wenn in meinen Orchesterstücken immer wieder kammermusikalische Passagen erklingen, ist die Kammermusik oft von symphonischem Duktus erfüllt.
Martin Lichtfuss
Grenzenlose Kunst »Ist ein Bahnhof eine Komposition?«
Versuch einer »scharfen« Argumentation [ 2000 ]
Die Suche nach Unerhörtem
Die Suche nach Identität stellt für uns Komponisten heute eine Herausforderung dar wie kaum je zuvor. Schatzsuchern gleich, begeben sich Scharen von Komponisten auf den Weg nach noch unentdeckten »Goldadern«.
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Originalität und Handwerk
Ist die Suche nach Unerhörtem für uns (in Europa) von geradezu existenzieller Bedeutung geworden, so war das nicht immer so. Vielmehr bildete vor noch nicht allzu langer Zeit eine andere Größe den entscheidenden Maßstab für Qualität: die Beherrschung des Handwerks.
Diese wird zwar auch heute von niemandem explizit in Frage gestellt (das wäre wohl zu verfänglich). Jedoch ist festzuhalten, dass das Streben nach individueller Aussage einerseits und das Bekenntnis zu handwerklichen Normen andererseits zwei gegensätzliche Positionen darstellen, die zueinander im Widerspruch stehen und bei extremer Auslegung einander sogar ausschließen.
Denn je höher der Anteil etablierter handwerklicher Elemente, desto weniger ausgeprägt die Individualität der Aussage, desto eher also »nur« Kunsthandwerk. Im Überschreiten handwerklicher wie ästhetischer Grenzen (besser eigentlich in ihrem Verschieben) lag also lange Zeit der Schlüssel zur Kunst. Liegt er dort aber immer noch?
Kunst ohne Grenzen?
Verlust der Möglichkeit, gegen Grenzen anzuschreiben
Im Rahmen einer liberalen Kunstgesinnung, die sich in demokratischem Selbstverständnis zu Offenheit und Toleranz bekennt, erscheinen allgemein verbindliche Grenzen Relikte autoritärer Gesellschaftsformen und damit grundsätzlich abzulehnen. Lange schon ist auch erlaubt, was nicht gefällt (nicht selten scheint sich der Satz — mit durchaus autoritärem Beigeschmack — umzukehren: Es gefalle, was erlaubt ist…).
Verlust von Grenzen
Mit dem Verlust von Grenzen und der allerorts gepredigten Freiheit der Kunst ist aber eine der Triebfedern künstlerischen Wirkens abhanden gekommen: die Möglichkeit, gegen Grenzen anzuschreiben. Andererseits wird, mehr oder weniger bewusst, gerade dieses erwartet. Die Grenzen aber befinden sich, wenn überhaupt, jenseits des Horizontes, nicht wirklich greifbar. Das gilt ästhetisch wie technisch: Die Grenzen wie auch das Wesen des kompositorischen Handwerks insgesamt sind heute schwerer zu fassen denn je.
Möglichkeiten der Grenzüberschreitung
Als Möglichkeit der Grenzüberschreitung bietet sich schließlich das Mittel der Flucht, heute zumeist in andere Disziplinen, etwa im Rahmen von Multimedia-
Der Bogen spannt sich vom leeren Blatt Papier bis zu diversen Klanginstallationen in Steinbrüchen und Fabrikshallen, in Höhlen und auf Bergspitzen. Eine wichtige Frage aber, welche bei der Beurteilung von Kunst immer gestellt werden muss, wird angesichts der Verblüffung über derartige Veranstaltungen leider allzu oft vergessen: ob nämlich im Zuge der Unternehmung der Boden auch wirklich bestellt, oder ob er vielleicht doch nur betreten wurde.
Die Frage der Authentizität
In besonderer Weise gilt dies für Kunstwerke, die einen hohen Anteil indeterminierter Elemente aufweisen. Gerade dort, wo Entscheidendes nicht festgelegt ist, drängt sich neben der Frage der Authentizität auch jene nach der handwerklichen Qualität auf. Traditionalisten werden sich sehr bald der Unterstellung nicht erwehren können, der Komponist habe sich’s leicht gemacht, indem er weite Strecken seines Werkes gar nicht bzw. allenfalls rudimentär festgelegt und somit der Verantwortung seiner Interpreten übertragen habe. Was man nicht mache, könne man auch nicht falsch machen. Und unversehens ist man mit dem Vorwurf mangelnder Seriosität zur Stelle.
Ihnen lässt sich gewiss antworten, auch in traditioneller Musik bleibe vieles offen, die Rolle des Handwerkes sei bei offenen Kunstformen neu zu definieren etc. In (nahezu) jeder Komposition wären die Kategorien »Schärfe« und »Unschärfe« wirksam, auch in sog. »traditioneller« Literatur. Nur ein bestimmtes Maß an Information sei überhaupt notierbar, eine wichtige Frage sei daher, welchen Parametern Priorität eingeräumt würde. In der Musikliteratur vergangener Jahrhunderte stellten vor allem die Parameter Tonhöhe und Tondauer maßgebliche Faktoren musikalischer Identität dar, während man in der Gegenwart das Zentrum musikalischer Aussage durchaus in anderen Parametern erblicken könnte, etwa in Klangfarbe, musikalischer Gestik/Bewegungsrichtung, räumlicher Konstellation etc. Diesen Parametern gegenüber könnten die »traditionellen« Kategorien Tonhöhe und Tondauer in den Hintergrund treten. Entscheidend sei, was ein Komponist als Bereiche von »Schärfe« und »Unschärfe« ansehen wolle. Analog dem Foto einer fokussierten Blume vor einem unscharfen Hintergrund stünde ein Komponist vor der Frage, welche Bereiche er genau definieren und welche er offen lassen wolle. Im Falle eines Extrembeispiels seien bereits einige wenige Festlegungen ausreichend — etwa die Annahme: »Konzert am 1.1.2000, 10–11 Uhr, Bahnhofshalle, 3 Musiker mit Instrumenten an bestimmten Orten im Raum verteilt« — um ein Werk als (zugegebenermaßen äußerst unscharfe) »Komposition« zu qualifizieren. Anm. 1)
Es fällt nicht schwer, die meisten dieser Aussagen widerspruchslos anzuerkennen; sie sind faktisch bereits Musikgeschichte. Auf die Behauptung der Umkehrbarkeit musikalischer Prioritäten trifft dies allerdings nicht ohne weiteres zu. Warum, soll im folgenden dargelegt werden.
»Schärfe« und »Unschärfe«
Zunächst gilt es, die Begriffe »Schärfe« und »Unschärfe« präziser zu fassen: Es ist zwischen kompositorischer und klanglicher Schärfe/Unschärfe zu unterscheiden. Beide Kategorien sind einander nicht gleichzusetzen, auch wenn sie einander oft (aber eben nicht immer!) bedingen. Mit kompositorischer Schärfe/Unschärfe ist im folgenden Determination gemeint, also der Grad an Festlegung unterschiedlicher Parameter durch den Komponisten. Evident ist, dass es absolute musikalische Determination (fast) nicht gibt.
Ebenso steht aber außer Zweifel, dass absolute musikalische Indetermination in Beliebigkeit bzw. Willkür umschlägt, also de facto innerhalb des Bereiches der Kunst nicht existiert. In der Realität geht es also immer um einen Standort innerhalb dieses Feldes von unzähligen Zwischenstufen. Dennoch sei hier zur Klärung des Sachverhaltes eine Polarisierung in Form dieser Begriffe gestattet. – Mit klanglicher Schärfe/Unschärfe andererseits ist der Klangeindruck des Zuhörers angesprochen. Auf diesen Bereich – aber nur auf diesen! – trifft der Vergleich mit dem oben erwähnten Foto mit unscharfem Hintergrund zu.
Vier Möglichkeiten der Konstellation
Wenn man diese zwei Kategorien differenziert, ergeben sich für den Komponisten grundsätzlich vier Möglichkeiten der Konstellation:
1. Kompositorische Schärfe erzeugt klangliche Schärfe
Beispiel: sog. »traditionelle« Musikliteratur in der jeweils etablierten Notenschrift; in bestimmten Fällen auch Formen elektronischer Musik
Das Streben nach möglichst großer »Schärfe« in Form eines Notenbildes ist Kennzeichen der Entwicklungsgeschichte europäischer Notation. Wo Indetermination vorliegt (z.B. bei mittelalterlicher Musik oder bei unvollendeten Werken), ist Determination verlorengegangen. So ergeben sich größere Bereiche der »Unschärfe« gelegentlich durch mangelnde Überlieferung bzw. durch nicht ausformulierte Details, die als bekannt vorausgesetzt wurden, etwa jene bestimmter Aufführungspraktiken. Damit sind Probleme der historischen Musikwissenschaft angesprochen, nicht aber der Kunstästhetik. Kompositorische Standpunkte unserer Zeit, welche dem Faktor »Unschärfe« einen hohen Stellenwert einräumen, unterscheiden sich von »traditionellen« Kunstauffassungen gerade durch ihr ausdrückliches Bekenntnis zu Indetermination.
2. Kompositorische Unschärfe erzeugt klangliche Unschärfe
Beispiele: Penderecki, Lutolawski, »begrenzte Aleatorik«
Das Interesse an musikalischen Massenstrukturen kündigte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts an und gewann in der Musik der vergangenen 50 Jahre zunehmend an Bedeutung. Klangwolken, Clusterglissandi u. ä. bilden heute für viele Komponisten unentbehrliche Register, manchmal jedoch verbunden mit einem unliebsamen Nebeneffekt: Sie zu generieren erweist sich mitunter als extrem kompliziert und aufwendig. Als eines der ökonomischesten Mittel musikalischer Organisation ist die Einbeziehung des Zufalls zur Erzeugung komplexer Klangwirkungen aus dem Bereich der Neuen Musik nicht mehr wegzudenken. Durch absichtlichen Verzicht auf genaue Organisation wird klangliche Disparatheit erzeugt. Wird ein Klangeindruck unkoordinierter Abläufe angestrebt, so findet er durch die gezielte Anwendung der Aleatorik eine adäquate kompositionstechnische Entsprechung. In Zusammenhang mit kompositorischen Freiräumen ist die Identität von Kunstwerken nur dann nicht eigentlich betroffen, wenn die kompositorische Aussage in der Wirkung der Unbestimmtheit selbst zu suchen ist, der Unbestimmtheit selbst also eine konkrete Klangvorstellung zugrunde liegt.
Die beiden bisher erwähnten Konstellationen erscheinen konsequent und ohne weiteres logisch nachvollziehbar. Die folgenden hingegen sind von einem grundsätzlichen Widerspruch geprägt und beide paradox. Gerade deshalb wollen wir sie genauer untersuchen.
3. Kompositorische Schärfe erzeugt klangliche Unschärfe
Beispiele: Ligeti, Atmosphères; Y. Xenakis, stochastische Kompositionen; C. Nancarrow: Werke für Player Piano; viele (aber nicht alle!) Werke der »elektronischen« Musik.
Hierbei ist ein zentrales künstlerisches Paradoxon angesprochen. Statt theoretischer Umschweife ein Vergleich: Ein Regisseur, vor die Aufgabe gestellt, eine tumultartige theatralische Massenszene zu organisieren (also z.B.: Meistersinger, 2. Akt), hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
a) vor die Menge der Darsteller zu treten mit der Anweisung: »Prügelt einander!«; oder aber b) das Verhalten jedes einzelnen Schauspielers mehr oder weniger exakt zu definieren. Es liegt auf der Hand, welche der beiden Methoden die fruchtbarere ist. Vgl. hierzu eine Aussage von B. A. Zimmermann: Zufall könne »erst durch genaueste Organisation der Zeit frei werden
[…]. So ist der Zufall durch exakte Präzisierung, um es noch deutlicher zu sagen: durch eine geradezu pedantische Notation erst das geworden, was damit gemeint ist […]«. Anm. 2)
Jedoch birgt dieses Prinzip eine Gefahr – und darin liegt das erwähnte Paradoxon: Es droht je nach Grad der Auslegung unökonomisch zu werden und somit die Balance von Aufwand und Ertrag gelegentlich aus den Fugen zu geraten, sowohl für den Komponisten als auch für den Interpreten. Y. Xenakis etwa stellte Ökonomie für sich selbst durch die Einbeziehung von Computerberechnungen her, andere Komponisten suchen mit einer Mischung aus kompositorischer Schärfe und Unschärfe dem Anspruch auf Angemessenheit der Mittel gerecht zu werden. Die kompromisslosesten unter ihnen, etwa B.A.Zimmermann und Ligeti, beharren auf einer akribischen Festlegung nahezu aller musikalischen Details. Ein ebenso respektgebietender wie problematischer Standpunkt: Zimmermanns Erstfassung der Soldaten, Ligetis letzte Klavieretüden erwiesen sich als praktisch unspielbar und führten zu Umarbeitungen bzw. zu Neuadaptationen für Player Piano. Darin steckt, bei aller Bewunderung der faszinierenden Ergebnisse und der Erschließung der Klangräume, das Moment der Resignation. C. Nancarrow hat durch seine Hinwendung zur »Klaviermaschine« das Problem auf seine Art zu Ende gedacht und ist so dem Anspruch auf Ökonomie gerecht geworden, allerdings um einen hohen Preis: den Verlust des (menschlichen) Interpreten.
4. Kompositorische Unschärfe erzeugt klangliche Schärfe
Beispiele: Die Kunst der Fuge; vorwiegend indeterminierte Werke von J. Cage (z.B. Variations)
Die Analogie in der Darstellung täuscht: Hier schlägt Kunst in Beliebigkeit, ja Willkür um, insbesondere dann, wenn musikalische Einzelereignisse und nicht Massenstrukturen definiert (bzw. nicht definiert) werden. Die genaue Vorstellung konkreter klanglicher Details ist mit ausgeprägter kompositorischer Indetermination unvereinbar. Dies gilt freilich auch für »abstrakte« Werke der traditionellen Literatur wie etwa Das musikalische Opfer oder Die Kunst der Fuge.
Dort jedoch erscheint der Grad der Indetermination nur aus der Sicht späterer Kunstauffassungen (etwa jener des 19. Jh.) ausgeprägt, historisch gesehen ist er unbedeutend: Wie auch in weiten Bereichen der Renaissanceliteratur wird eben der Klangfarbe als absichtlich nicht definiertem »unscharfen« Bereich nur marginale Bedeutung zuerkannt, die eigentliche kompositorische Aussage ist auf der Ebene anderer Parameter zu suchen. Viele Komponisten des 20. Jahrhunderts haben daraus die Folgerung abgeleitet, man könne doch ebenso die Aussage primär auf der Ebene des ehemals vernachlässigten Parameters Klang artikulieren und die anderen Größen, allen voran Tonhöhe und Tondauer, als absolute Autoritäten der Vergangenheit mehr oder weniger undefiniert lassen.
Musikalische »Identität«
Wenn auch inzwischen geklärt ist, daß gerade in der Neuen Musik der Parameter Klang nicht grundsätzlich jenen von Tonhöhe und Tondauer bzw. Rhythmik untergeordnet werden kann (was auf den größten Teil der Konzertliteratur von 1500—1900 zutrifft), so erhebt sich dennoch die Frage, ob alle Parameter gleichermaßen entbehrlich sind. Kann man wiedererkennbare Werke schreiben, indem man ausschließlich auf einer dieser Ebenen formuliert? Und wieviel muss konkretisiert sein, damit man von musikalischer »Identität« sprechen kann?
Werkstoffe
Die Wörter eines Lexikons, eine entsprechende Kollektion von Farben, einzelne Töne, Rhythmen, Klangeffekte und/oder eine bestimmte Raumkonstellation etc. stellen das Material für künstlerische Aussagen bereit und somit vielleicht die Rahmenbedingungen für Kunst, sind aber nicht als solche mit Kunstwerken (auch nicht mit einem Teil von ihnen!) gleichzusetzen.
Das ist immer noch häufig eines der schwerwiegendsten Missverständnisse zeitgenössischer Kunst: dass ein bestimmter Werkstoff mit künstlerischer Aussage selbst verwechselt wird. Die Entdeckung neuer Klänge, konkreter wie elektronischer, verführt dazu. Das Klappengeräusch einer Flöte etwa ist unzweifelhaft musikalisches Material, ebenso wie der Ton fis‘ eines Saxophons oder das Klangereignis eines Rülpsers.
Musikalische Aussage
Alle drei Vorgänge ergeben, für sich genommen, noch keine musikalische Aussage. In Beziehung zueinander gesetzt, können sie grundsätzlich den Anfang einer solchen bilden. Reicht aber eine bloße Abfolge dieser Geräusche allein schon aus, damit wir von einer »Komposition« sprechen können? Was muss noch festgelegt werden, damit Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Unternehmens ausgeräumt werden?
Man stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Parameter denn für sich allein genommen zur Darstellung eines geformten musikalischen Gedankens genügen. Man wird zur simplen Erkenntnis gelangen, daß die Definition eines einzigen Parameters noch nicht ausreicht, daß aber andererseits nicht notwendigerweise alle Parameter festgelegt werden müssen, um musikalische Identität zu schaffen. Im Gegensatz zu Tonhöhe und Klang erweist sich allerdings die Ebene Tondauer/Rhythmus in allen denkbaren Kombinationen als unverzichtbar.
Unverzichtbar: zeitliche Organisation
Da Musik mit dem Ablauf der Zeit untrennbar verbunden ist, bildet die Festlegung zeitlicher Größen, in welcher Form auch immer, eine ihrer unabdingbaren Voraussetzungen. Vielleicht sogar die einzige.
Die zeitliche Konkretisierung musikalischer Abläufe muss in jedem Fall durch den Komponisten vorgenommen werden, auch dort, wo andere Parameter im Vordergrund stehen. Ein fast unermessliches Feld der Möglichkeiten tut sich auf zwischen metrischer Organisation und ametrischer, im Rahmen etwa eines Klangkontinuums: Auch dort, vielleicht gerade dort muss der zeitliche Ablauf definiert werden. Wo dies nicht geschieht, ist die Grenze künstlerischer Identität überschritten. Unterschiedliche Grade der Konkretisierung gibt es zweifelsohne, und dementsprechende Spielräume der Formulierung. Reicht der Bogen aber tatsächlich von Bartóks sekundengenauen Zeitangaben bis zu B. Schæffers Non-
Eine klare Antwort auf diese Frage kann es nicht geben, da es eine klare Grenze zwischen Ernsthaftigkeit und Willkür ebensowenig gibt wie zwischen Kunst und ihrem Missbrauch.
Grenzen ziehen?
Derartige Grenzen zu ziehen versuchen autoritäre Kunstgesinnungen immer wieder von neuem, mit katastrophalen Folgen für Einzelne wie auch für die Allgemeinheit. An der Erkenntnis, dass ein Diktat solcher Grenzen unmoralisch und daher abzulehnen ist, ist nicht zu rütteln.
Gerade so aber öffnet sich andererseits Bluffern und Spekulanten ein weites Betätigungsfeld: Denn wenn man keine Grenze ziehen könne, dürfe man auch nichts ausgrenzen. In Form eines grotesken Umkehrschlusses ließe sich die Argumentation ableiten, grundsätzlich alles, auch »Nichts«, sei als Kunst zu akzeptieren. Das aber bedeutet Kunst ohne Risiko, Kunst ohne Angriffsfläche (Kunst, die an sich schon subventioniert werden muss?!…). An diesem Punkt war John Cage mit 4’33“ bereits vor mehr als 50 Jahren angelangt. Anm. 3) Wir sollten heute weiter sein.
Fazit: also wieder nur »Bahnhof«?
Eine allgemein verbindliche Festlegung von Bewertungskriterien, von scharfen Grenzen im Umgang mit Kunst ist nicht vertretbar; wo sie versucht wird, liegen eine autoritäre Kunstgesinnung und/oder Denkweisen auf Stammtischniveau zugrunde (derartige Zusammenhänge werden leider immer wieder evident, nicht zuletzt auf der Ebene parteipolitischer Standpunkte). Damit ist jedoch nicht gesagt, die Beurteilung von Kunst sei grundsätzlich unmöglich.
Beurteilung ist subjektiv!
Denn die Beurteilung von Kunst erfolgt letztlich beim Einzelnen, also im Bereich der Subjektivität. Das zu akzeptieren fällt manchmal schwer, darin ist aber die Sinngebung der Kunst schlechthin zu suchen: als lebendiges Feld von Möglichkeiten, in welchem Wertigkeiten grundsätzlich anerkannt werden müssen, aber nicht verabsolutiert werden können. Die Antwort auf die Wertigkeit und Sinnhaftigkeit von Kunst muss sich letztlich jeder selbst geben.
Zur Orientierung: Kriterien der Beurteilung
Als Orientierungshilfe auf dieser subjektiven Suche nach Sinnhaftigkeit und auch als mögliche Anhaltspunkte bei einer Beurteilung von Kunstwerken seien im Folgenden dennoch einige Aussagen getroffen, welche durchaus objektiv gemacht werden können und die Schlussfolgerung der eben formulierten Überlegungen wieder etwas unverbindlicher erscheinen lassen:
Handwerk
• Ansatzpunkt einer Bewertung von zeitgenössischer Kunst bildet zunächst die Prüfung handwerklicher Aspekte, wobei allerdings zu klären ist, was als handwerklicher Maßstab eines Werkes zu gelten hat. Für die verschiedenen Disziplinen des Komponisten, Notation und Instrumentation etwa, formales Gestalten u.ä. gibt es zwar Normen, jedoch unterliegen diese alle zeitlichen wie subjektiven Veränderungen. Die Einschätzung eines Musikwerkes ist daher nur möglich, wenn geklärt wird, ob und inwieweit es sich mit etablierten Modellen und Mustern deckt bzw. in welchem Maß eigene Gesetzmäßigkeiten geschaffen werden.
Originalität
Der Grad an Identität ist sicherlich an das Maß an Normüberschreitungen gebunden. Jedoch ist Originalität auch ohne diese möglich, und andererseits Normüberschreitung allein wahrlich noch kein Garant für Identität.
In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob Grenzüberschreitung als künstlerische Maßnahme gerechtfertigt erscheint. Mit ihr muss ein greifbarer Gewinn (z.B. eine wirklich neuartige Hör-
Somit mündet die Frage nach der handwerklichen Qualität in jene nach der
(Ökonomie)
• Angemessenheit und Ökonomie der gewählten Mittel. Die Forderung nach größtmöglicher Wirkung durch kleinstmöglichen Aufwand verkommt leider allzu oft zum Klischee. Nicht immer ist größtmögliche Ökonomie grundsätzlich mit höchster künstlerischer Qualität verbunden.
In jedem Fall ist zwischen Ökonomie für die Ausführenden und jener für den Komponisten zu unterscheiden. Für ihn gilt: Je geringer der kompositorische Aufwand, desto überzeugender muss die künstlerische Aussage sein. Ein höherer kompositorischer Aufwand allerdings (etwa durch minutiöse »Übernotation« klanglicher Details) bedingt nicht automatisch höhere Qualität, dies kann sogar, je nach Ausmaß der Anwendung, als handwerkliche Unangemessenheit angesehen werden. Jedoch ist, bei vergleichbarer künstlerischer Aussage, ein Werk, das ein höheres Maß an kompositorischer Anstrengung erkennen läßt, einem kompositorischen »Schnellschuss« vorzuziehen. Deshalb sollte ein höherer kompositorischer Aufwand gegenüber Komponisten, die »sich’s leicht gemacht haben«, zunächst einmal als Bonus gelten. — Jene Erfahrung der Nachkriegsgenerationen, dass nämlich serielle Stücke von extrem aleatorischen klanglich oft kaum auseinanderzuhalten sind, wäre hier in besonderer Weise zu reflektieren.
Vielfalt und Intensität
• Quantitativ (nicht qualitativ!) betrachtet: Zwei der wesentlichsten Kriterien künstlerischer Sinnhaftigkeit sind Vielfalt einerseits und Intensität der Aussage andererseits. Das Zusammenwirken beider ist durchaus komplex. Intensität schließt Vielfalt nicht aus, ein Mangel an Vielfalt bedingt nicht automatisch einen Verlust an Qualität, sondern kann durch eine gesteigerte Intensität der Aussage aufgefangen werden (z.B. gregor. Choral). Ein hohes Maß an Vielfalt und Abwechslung allerdings verleiht der Musik Profil und Identität und bildet damit seinerseits ein Qualitätskriterium.
In Bezug auf die oben dargestellten Kategorien stellt eine Mischung aus Schärfe und Unschärfe zunächst den »günstigeren« Ausgangspunkt für einen Komponisten dar als jener einer einseitigen Beschränkung. Dem Streben nach Vielfalt ist auch die Suche nach klanglicher Erweiterung in der Neuen Musik zuzuordnen. Freilich kann eine Überfülle an Material auch gerade das Gegenteil von Sinnhaftigkeit bewirken: etwa als Sammelsurium von Effekten, in Form eines akustischen »Wörterbuches«. Und im Gegenzug kann die selbstgewählte Beschränkung des Materials zum entscheidenden Motor für kompositorische Höchstleistungen werden. Das »Fasten« gewissermaßen als Katalysator für die eigene Phantasie.
Konsequenz
• Unabdingbar für eine künstlerische Aussage ist, dass sie mit Intensität und Konsequenz vertreten wird. Dies setzt ein ausgeprägtes Bewusstsein über den eigenen ästhetischen Standpunkt voraus. Intensität der Aussage und Konsequenz in der Anwendung der gewählten Mittel zählen zu den vorrangigsten Maßstäben für die Beurteilung zeitgenössischer Kunst.
• Je höher der Anteil konkretisierter Elemente in einem Kunstwerk, desto individueller die Aussage, desto größer dessen Identität; je höher der Anteil undefinierter Elemente, desto beliebiger, willkürlicher das konkrete Resultat. Im Extremfall reduziert sich die Aussage von »Kunstwerken« auf die ihnen zugrunde liegenden Ideen. Bei unterschiedlichen Präsentationen beschränkt sich dann der Wiedererkennungswert von Kompositionen auf diese Ideen allein; die sinnliche Konkretisierung bleibt beliebig.
Damit geht künstlerische Identität verloren.
Wenn eine der Voraussetzungen von Kunst im Vorgang sinnlicher Veranschaulichung liegt, so ist in diesen Fällen die Grenze der Kunst überschritten; die Grenze respektabler Denkleistungen als solche freilich nicht. Anm. 4)
Der Autor als Impulsgeber
• Mit einem steigenden Anteil vage oder nicht definierter Parameter in einer Komposition wird der Autor zunehmend zum Impulsgeber für Vorgänge und Ereignisse, deren konkrete Ausgestaltung durch die Musiker vorgenommen wird, sei es, indem sie in Proben Fehlendes zu Ende definieren, sei es mit dem Mittel der Improvisation. Auch hier sind scharfe Grenzen nicht zu ziehen. Wozu wollte man das auch, über die künstlerische Aussagekraft der musikalischen Ereignisse ist damit ohnedies nichts ausgesagt. Durch eine Erhöhung indeterminierter Bereiche ist die Sinnhaftigkeit des Vorhabens an sich nicht betroffen oder gar in Frage gestellt.
Abgabe von Verantwortung
• Aber mit der Zunahme indeterminierter Bereiche ist ein Verlust von Individualität verbunden, durch welchen sich künstlerische Verantwortung zumindest teilweise vom Komponisten auf die Musiker (und vielleicht sogar auf das Publikum) verlagert. Ein Beharren von Autoren auf einem traditionellen Komponistentypus bzw. auf einem geschlossenen Werkbegriff ist in Zusammenhang mit einem hohen Anteil indeterminierter Elemente unehrlich, unmoralisch und letztlich unzulässig. Entsprechende Überlegungen in Urheberrechtsgesellschaften (AKM, GEMA u.a.), bei überwiegend indeterminierter Musik einen Teil der Tantiemen den ausübenden Musikern zukommen zu lassen, tragen diesem Umstand Rechnung.
Verlust von Kritikfähigkeit
• Mit zunehmender Indetermination wird es naturgemäß schwieriger, Qualitätsmaßstäbe anzulegen. Ein hohes Maß an Variabilität bringt ein ebensolches an Unantastbarkeit mit sich. Wie könnte man auch bestimmte Kritik an unbestimmten Gebilden äußern? Es sei denn, ein Kritiker wollte sie pauschal ablehnen – und sich damit selbst disqualifizieren.
• Indetermination kann missbraucht werden — Determination auch. Mit dem Grad der Indetermination steigt allerdings die Chance von Scharlatanen, als solche unerkannt zu bleiben, ebenso wie die Möglichkeit von Komponisten, im Falle des (zunehmend unwahrscheinlichen) Scheiterns Verantwortung auf die interpretierenden Musiker abzuwälzen.
So gesehen ist der einschlägige »Bahnhof« mit den paar formulierten Rahmenbedingungen durchaus bereits Teil einer »Komposition«:
Er macht vielleicht 1‰, oder auch 2‰, oder gar 1% des zu erwartenden Kunst»werkes« aus. Diesen Anteil zu erhöhen ist die Aufgabe des Komponisten oder aber — im Fall von dessen Rückzug — seiner »komponierenden« Interpreten. Anm. 5)
Martin Lichtfuss, »Hommage à …« für 3 Instrumente (1999); Dauer: 15″ – 15′
Dieser Artikel wurde im Heft 10/2000 der Österreichischen Musikzeitschrift veröffentlicht.
Anmerkungen:
Anm. 1) Diese Ansichten vertrat der Tiroler Musiker und Komponist Günther Zechberger als zweifellos radikaler Exponent innerhalb der österreichischen Musikszene am 30.11.1999 anlässlich eines »Tages der graphischen Notation« am Tiroler Landeskonservatorium Innsbruck.
Anm. 2) Bernd Alois Zimmermann, Intervall und Zeit, Mainz 1974, S. 103-
Anm. 3) Im übrigen ist dieses Stück als Frage zu verstehen, ob die Definition der Zeitdauer allein zur Formulierung einer sinnvollen musikalischen Aussage ausreicht.
Anm. 4) Die Bedeutung etwa von J. Cage liegt ja nicht zuletzt darin, die Grenzen künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten nicht nur erkundet, sondern ausdrücklich überschritten zu haben. Ohne die grundsätzliche Annahme solcher Grenzen erscheinen insbesondere seine »radikalsten« Werke weitgehend unverständlich.
Anm. 5) Literaturhinweis: Entscheidende Aussagen zu diesem Themenbereich finden sich in: Walter Gieseler, Komposition im 20. Jahrhundert, Celle 1975, einem Standardwerk über Neue Musik, dem ich wesentliche Erkenntnisse verdanke.
Zu neuer Kirchenmusik
[ 2011 ]
Neue Musik – in der Kirche?
Wenn von „Neuer Kirchenmusik“ gesprochen wird, so kommt wohl den Wenigsten in den Sinn, dass „Kirche“ und „Neue Musik“ Wesentliches gemein haben – und wohl mehr, als ihnen lieb ist: Sie tragen beide verhängnisvolle „Erbsünden“ mit sich.
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Diese entfalten ihre Wirkung darin, dass sich die Mehrheit der Menschen unserer Gesellschaft geradezu reflexartig abwendet, sobald von „Kirche“ oder „Neuer Musik“ die Rede ist…
„Schönheit“ als Lockmittel?
Soll man als Komponist Neuer Kirchenmusik durch Festhalten an etablierten Hörerwartungen eines einschlägigen Fachpublikums – einer mehr oder weniger eingeschworenen Minderheit – auch noch die letzten Kirchenbesucher davonscheuchen? Oder besteht die Aufgabe einer Kirchenmusik nicht eher darin, Menschen anzulocken und zum Kirchenbesuch zu „verführen“ – etwa, indem man zulässt, dass Neue Musik, ungeachtet der Frage, welcher Materialien sie sich bedient, auch „schön“ sein darf?
Die „andere“ Seite neuer Klänge – eine Utopie?
Für einen grundsätzlich aufgeschlossenen Hörer sollte die schillernde Buntheit etwa eines Clusters mit der Farbigkeit eines Dreiklangs durchaus korrespondieren können. Oder sich der Zauber einer Melodie vielleicht auch bei Flageolettklängen entfalten. Die Anwendung von auf breiter Basis verständlichen und akzeptierten Klangmitteln bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung künstlerischer Ansprüche, wie sie im Umfeld der Neuen Musik vorauszusetzen sind, mutet als „Quadratur des Kreises“ an. Aber gibt es denn eine wichtigere Bestimmung der Kunst als jene, nach Utopien zu streben?
„Mit Borsten gestreichelt“
Zu musikalischen Widerhaken in der Wiener Operette des 19. Jh. [ 2009 ]
„Musikalische Widerhaken“ – klingt das nicht übertrieben bei einem Genre, das man mit „leichter Unterhaltung“ assoziiert? Laufen wir mit solch einem Schlagwort nicht Gefahr zu ideologisieren, Bedeutungsschwere zu signalisieren, welche wohl gar nicht angestrebt war?
Unterhaltung als Herausforderung
Zur kritischen Urtextausgabe von Carl Millöckers »Der Bettelstudent« [ 2001 ]
Verantwortungsvoller Umgang mit der Operette
Wenn Kunst Ausdruck historischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit sein sollte, wenn Realitätsbezug, und sei es nur durch die Person des Autors, einen Maßstab für künstlerische Qualität bildet, so löst Millöckers erfolgreichste Operette diesen Anspruch auf vollkommene Weise ein. Das ist alles andere als selbstverständlich im Rahmen einer Gattung, deren oberstes Ziel nur wenige Jahrzehnte darin bestand, das Publikum in eine »bessere« Wirklichkeit zu entführen.
mehr
Die Operette des 19. Jahrhunderts
In einer Zeit, in der kulturelle und historische Forschungsarbeit mit wissenschaftlichem Anspruch in einem Maße geleistet wird wie nie zuvor, nimmt es wunder, dass mit einer Gattung, die in jeder Beziehung dem Bereich der Kunstmusik zuzuordnen ist, so unkritisch, ja achtlos und zuweilen sogar fahrlässig umgegangen wird, wie dies an vielen Theatern und Opernhäusern der Fall ist. Die Rede ist von der Operette, genauer gesagt von der Operette des 19. Jahrhunderts.
Das Genre als Inbegriff einer reinen Kommerzproduktion?
Die Hauptschuld an dieser bedauerlichen Praxis ist wohl in erster Linie der Operettenindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts anzulasten, die das Genre zum Inbegriff einer reinen Kommerzproduktion verkommen ließ. Mit der Begründung, die alten Werke dem aktuellen Geschmack anpassen zu müssen, machte man sich an die Bearbeitung erprobter Repertoirestücke heran; auf der Grundlage des eben erst etablierten Urheberrechts erschlossen sich so Regisseure wie Arrangeure profitable Einnahmequellen. Die ursprüngliche Charakteristik der Operetten und damit ihre Identität wurden durch die Ästhetik der Zwischenkriegszeit verdeckt; ein geschmackliches Wirrwarr, das seinerseits sehr schnell an Aktualität verlor, war die Folge. Auf diesem Degenerationsprozess gründet der auch heute noch weitgehend unangefochtene Ruf der Operette als »billiges Unterhaltungstheater« gesellschaftlicher Mittelschichten.
Verantwortungsvoller Umgang mit der Operette des 19. Jahrhunderts
Mit der kritischen Urtextausgabe von Millöckers bedeutendster Operette soll nun ein Signal gesetzt werden, das zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Operette des 19. Jahrhunderts aufruft. Zum ersten Mal werden hiermit eine vollständige Partitur des Werkes und das dazugehörige Aufführungsmaterial in Druck vorgelegt (!), und dies in einer kritischen Urtextausgabe mit umfangreichem Kommentar und allen derzeit auffindbaren Ergänzungen und Varianten. Neben sämtlichen bisher bekannten Nummern der Operette wurden folgende Stücke erstmals veröffentlicht:
- eine nachkomponierte Ouvertüre
- ein (musikalisch äußerst bedeutungsvolles) Duett Symon-Jan (Nr. 10)
- zwei originale, nachkomponierte Mazurken (welche hoffentlich in Zukunft die oft als Einlage verwendete, stilfremde Mazurka aus Léo Délibes Coppélia [!] ersetzen werden….)
- eine umfassende Erweiterung des 3. Finales (Ensemble Nr. 17 und Quartett Nr. 18) und damit verbunden eine deutliche Aufwertung des dramaturgisch bisher »unterbelichteten« 3. Aktes
- das komplette Zensurtextbuch mit zahlreichen bisher unzugänglichen Texten und Szenen
- eine nachkomponierte Harfenstimme
- zwei nachkomponierte Nummern in französischer Sprache (!) für eine Aufführung in Brüssel (Invocation et Couplets und Romance)
Der 3. Akt als unliebsames Anhängsel?
Die Wiederentdeckung des Duettes Nr. 10 (Symon/Jan) und vor allem der ursprünglichen Gestalt des 3. Aktes ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam: Nicht nur, dass jetzt unentbehrliche musikalische Bezüge wiederhergestellt wurden, die in der Uraufführungsproduktion im wahrsten Sinne des Wortes dem Rotstift Millöckers zum Opfer gefallen waren (etwa der bisher »verwaiste« Beginn der Introduktion, der seine musikalische Entsprechung nun in Nr. 10 und in Nr. 18 findet), auch inhaltlich präsentiert sich der 3. Akt nicht mehr wie in so vielen anderen Operetten als unliebsames Anhängsel, sondern als gewichtiger Teil, durch welchen die ursprünglichen Proportionen wiederhergestellt sind. Durch Nr. 10 und das »neue« alte Finale wird die politische Ausrichtung der Operettenhandlung aufgewertet (wenn nicht in den Mittelpunkt gestellt), wodurch die gesellschaftliche Brisanz des Geschehens vor dem Hintergrund des 19. Jahrhunderts (Emanzipation der nationalen Minderheiten!) voll zum Tragen kommt. Darüber hinaus lässt sich im Vergleich mit der Urfassung die bisher etablierte Variante definitiv einschätzen: Ihr kommt weniger der Stellenwert einer Alternativfassung als vielmehr jener einer »Schmalspurlösung« zu. – Insgesamt ist mit der Neuedition des gesamten originalen Materials nun eine nicht nur musikalisch, sondern auch dramaturgisch überzeugende und konsequente Fassung zugänglich, durch welche die ursprüngliche Konzeption der Operette endlich zum Vorschein gelangt.
Der Bettelstudent im Kontext seiner Entstehungszeit
Kunst als Ausdruck historischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit
Wenn Kunst Ausdruck historischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit sein sollte, wenn Realitätsbezug, und sei es nur durch die Person des Autors, einen Maßstab für künstlerische Qualität bildet, so löst Millöckers erfolgreichste Operette diesen Anspruch auf vollkommene Weise ein. Das ist alles andere als selbstverständlich im Rahmen einer Gattung, deren oberstes Ziel nur wenige Jahrzehnte darin bestand, das Publikum in eine »bessere« Wirklichkeit zu entführen. Auch wenn Merkmale des Illusionstheaters von Anfang der Operettenentwicklung an erkennbar sind, ging es in den Werken der sog. »goldenen« Operette anders als in jenen des 20. Jahrhunderts nicht um Realitätsverweigerung und -verdrängung, sondern um den Versuch, Problemen der Gegenwart mit den Mitteln der Ironie und des Humors (bei Offenbach gar der Satire) zu begegnen und ihnen auf diese Weise die Spitze zu nehmen.
Die gescheiterte Revolution von 1848
Freilich wurden damit auch die Operetten des 19. Jahrhunderts Teil jenes Verdrängungsmechanismus, welcher als Folge der gescheiterten Revolution von 1848 das städtische Bürgertum erfasste. Diesem war mit der Konsolidierung der Monarchie die Perspektive auf gesellschaftlichen Aufstieg abhanden gekommen, und das einstige Revolutionspotenzial wich einem unbestimmten Gefühl der Resignation, welches einer bereits jahrhundertealten (österreichischen) Tradition entsprang. Im Bereich der Operette fand diese Resignation vor allem in Gestalt illusionistischer Sujets und der so typischen melancholischen Melodienseligkeit zu künstlerischem Ausdruck. Wenn diese bei Johann Strauß mehr noch als bei Carl Millöcker den Motor der musikalischen Erfindung bildete, so war bei der Uraufführung des Bettelstudenten die Erwartung melodischer Aussage immerhin groß genug, um in der Presse ausdrücklich hervorgehoben zu werden: »Millöcker ist einer der besten, frischesten Wiener Operetten-Musiker. Er hat Walzer geschrieben, welche in die Welt gegangen wären, stünde der Name Strauß auf dem Titelblatte.« Anm. 1) Und anderswo: »Seine Musik — leider nur etwas zu viel Musik — ist melodiös, sangbar leicht und anspruchslos.« Anm. 2)
Im »Bettelstudent« hat sich Millöcker vom Großopernwahn befreit
Mit diesen Attributen ist die Stillage der Operette klar umrissen. Dass Millöcker nicht in den Sog der Oper geraten war, wurde — vielleicht mit einem Seitenblick auf Strauß — in der zeitgenössischen Kritik anerkennend gewürdigt: »Im Bettelstudent hat er sich von dem Großopernwahne befreit. Die Operette läuft als solche geradeaus von der ersten bis zur letzten Nummer.« Anm. 3) Wenn auch wie hier immer wieder ein ausgeprägtes Gattungsbewusstsein zutage tritt, wenn die Wirkungsbereiche von »Ernster« und Unterhaltungsmusik zur Zeit Millöckers schon aufgrund unterschiedlicher Spielstätten und Publikumsstrukturen relativ klar definiert waren, die Grenzen waren durchlässig. Das wird angesichts der musikalischen Qualität des Bettelstudenten besonders deutlich: Es handelt sich um hinreißendes musikalisches Unterhaltungstheater, das in jene Lücke stieß, welche nach der Verdrängung der komischen Oper durch Wagners Musikdramen entstanden war.
Die Wiener Operette des 19. Jahrhunderts
Die Wiener Operette des 19. Jahrhunderts wurzelt denn auch in Lortzings, Rossinis und Donizettis Opern — nicht zufällig ist die Orchesterbesetzung (und somit die Klangvorstellung) im Bereich der klassischen Operette mit jener der italienischen Opernkomponisten identisch. Diesen ist ebenso wie Millöcker auch die Eigenart gemein, einfache Melodien »gegen den Strich zu bürsten«. Durch unerwartete, synkopenartige Akzente auf unbetonte Taktteile etwa werden beharrlich immer wieder kleine Irritationen geschaffen, die zwar nicht verstören, weil sie dem Zuhörer zumeist unbewusst bleiben. Aber durch sie werden simple melodische Floskeln, nicht selten im Duktus von Gassenhauern, der Banalität entrissen. Millöcker schuf, wie auch etwa der junge Verdi, eingängige Melodien — darauf gründet seine Volkstümlichkeit. Doch darüber hinaus war er energisch bemüht zu verhindern, dass durch unreflektierte Wiedergabe »aus dem Bauch« seine Musik ins Sentimentale oder gar Vulgäre kippen könnte, ja er hat geradezu mit Fanatismus alle einer vordergründigen Popularität verdächtigen Passagen (typischestes Beispiel: Ollendorfs »Schulterkuss«) mit Staccato- bzw. Portato-Punkten versehen und so zur Kunstmusik angehoben.
Humor und Witz
Gepaart sind diese Artikulations- und Phrasierungsweisen mit Humor und Witz; dadurch verstand Millöcker seine Zuhörer von der ersten Aufführung an in seinen Bann zu ziehen. »Der Komponist des Bettelstudenten ist in seinem musikalischen Wesen ein Vollblut-Wiener und kaum daß er sich’s versieht, sitzt ihm der Schalk, der gerade in der Musik so launig zu sein versteht, im Nacken. Manchmal scheint es, als wolle Millöcker diesen Schalk von sich verjagen, aber es geht nicht; flugs ist er wieder da, und dann hat Millöcker die schönsten und glücklichsten Inspirationen.« Anm. 4)
Zusammen mit slawischem Lokalkolorit und dem bei der Uraufführung vielbeachteten Ausstattungsaufwand — im Umfeld der Donaumonarchie erlangten die folkloristischen Elemente ähnlich wie drei Jahre später beim Zigeunerbaron eine integrative Bedeutung von geradezu politischer Dimension Anm. 5) — bildete diese humoristische Grundhaltung die Voraussetzung für den von der ersten Stunde an einsetzenden großen und nachhaltigen Erfolg. Ein solcher — für das unsubventionierte Theater an der Wien mitunter eine Überlebensfrage! — erscheint umso bemerkenswerter angesichts offensichtlicher Schwierigkeiten im Zuge der Premierenvorbereitungen, welche sogar die Verschiebung der Uraufführung nötig machten, und angesichts des improvisiert umgemodelten und in dieser Fassung bis heute nicht restlos befriedigenden 3. Aktes. Wenn man die Operette als ganzes betrachtet, wird er freilich vollends verständlich: als Reaktion auf ein Werk, das auch heute noch auf verschiedenste Weise rezipiert werden kann, sei es als unverbindliche Liebeskomödie, sei es als hintergründig unterhaltsames Bühnenspiel, dessen gesellschaftliche Inhalte brisanter waren, als sie schienen.
Flucht ins 18. Jahrhundert
Da mochte dem Zuschauer von 1882 die Flucht ins 18. Jahrhundert noch so stark zeitliche Entrücktheit vorgaukeln, mit ein wenig Hellhörigkeit vermag man auch heute noch die Aktualität des Themas zu spüren: Es geht um Okkupation, um Imperialismus und kriegerische Unterdrückung. Dass dies alles gar nicht harmlos ist, spürt der aufmerksame Zuhörer am Ende, wenn Symon beiläufig und fast frech hinträllert: »Befreit das Land, geknüpft das Band, ein kühnes Spiel bracht’ uns ans Ziel«, und wenn im übrigen durch den ganz und gar unglaubwürdigen Deus-ex-machina-Schluss die Illusion einer Lösung der Krise ironisch hinterfragt wird. Freilich »spielte« sich dies alles in einem fernen Land ab. Die Wiener von 1882 brauchten sich nicht zu beunruhigen: Der »Schlag ins Gesicht« galt einem Deutschen und keinem k.u.k. Offizier… Trotz dieser Konzession an die Zensur aber ist der Adressat klar. Angesichts der Expansionspolitik des österreichischen Kaiserregimes mutet die heitere und unterhaltsame Behandlung einer an sich tragischen Situation, wie es die Besetzung einer Stadt durch ein feindliches Heer nun einmal ist, fast makaber an.
Hinter der blitzenden Fassade zündender Musik
Gerade darin aber liegt (in inhaltlicher Hinsicht) die wirkliche Qualität dieses Meisterwerkes. Hinter der blitzenden Fassade zündender Musik, hinter dem polterndem Klaumauk des Ollendorf verbirgt sich eine provokante Kraft, die dem Widerspruch zwischen der Tragweite des Konfliktes einerseits und der Stilebene seiner Abhandlung andererseits entspringt. Ähnliches findet sich — später — im Kabarett wieder, einer artverwandten, freilich ungleich engagierteren Plattform unterhaltsamer Gesellschaftskritik. Für die Operette jener Zeit hingegen bleibt der Unterhaltungswert bestimmend, er bildet den rhetorischen Rahmen, und wir müssen den Komponisten dankbar sein, wenn sie ihn respektiert haben. Denn er war der Garant für die Echtheit, die Ehrlichkeit ihrer Werke. Gerade durch ihr Bekenntnis zur Gattung sind die Operetten von Strauß, Millöcker, Suppè und Offenbach im Gegensatz zu den dekadenten Emanzipationsbestrebungen späterer Operettenkomponisten auch heute noch glaubwürdig.
Reste des subversiven sozialen Protests
Dennoch gilt es, hinter der oft vordergründigen Komik einerseits und dem zündenden musikalischen Temperament andererseits mehr zu erblicken als einschlägige Unterhaltungsmerkmale und bloßes Ornament. Akzente, Synkopen, Hemiolen, chromatische Alterationen, Staccato und Portato — sie alle wären zu begreifen als Reste jenes subversiven sozialen Protests, welcher auf das realpolitisch glaubwürdige Maß eines Champagnerprickelns geschrumpft ist. Mag sein, dass man die ursprüngliche Zielsetzung aus den Augen verloren hatte — erkennen wir all diese Elemente als Ausdruck einer provozierenden Grundstimmung, so erweisen gerade sie sich als ausschlaggebendes Gegengewicht jenen aufkeimenden sentimentalen Tendenzen gegenüber, welche in so vielen späteren Operetten, nie aber in jenen des 19. Jahrhunderts die Oberhand gewinnen. Ihre Bedeutung für die Interpretation kann gar nicht genügend hervorgehoben werden.
Tendenz zur Transparenz
Das Insistieren auf einer Portato-Spielweise und die damit verbundene Tendenz zur Transparenz machen nicht zufällig den entscheidenden Unterschied der Handschrift Millöckers zu allen bisherigen Ausgaben des Werkes aus. Denn die dahinter klar erkennbare Intention des Komponisten setzt die Bereitschaft des Publikums zu einer reflektierten Aufnahme des Werkes voraus. Als scheinbares Paradoxon wird trotz der mitreißen-den Wirkung der Musik eben nur »der Fall gesetzt« und stets eine gewisse Distanz gewahrt. Natürlich ist dies eine Haltung, die mit dem rundum gepflegten kommerziellen Operettenverständnis unvereinbar ist. Nimmt man hingegen die Anweisungen des Komponisten ernst, bleibt die Musik nicht nur gefällig, sondern sie vermag auch zu provozieren und entspricht somit genau jener zuvor genannten Charakteristik des Textes, freilich wohl dosiert und stets auf unterhaltsame, bekömmliche Weise. Damit sind die zwei Grundzüge des Bettelstudenten formuliert: Die Operette ist unterhaltend, aber nicht nur das. Sie ist und war auch zeitgemäß. Millöcker gelang es, die Voraussetzungen für eine breite Publikumswirkung zu schaffen, ohne künstlerische Ansprüche aufzugeben.
Anmerkungen:
Anm. 1) aus einer Kritik der Uraufführung, Wiener Abendpost (Beilage der Wiener Zeitung), 7.12.1882
Anm. 2) Neue Freie Presse, 7.12.1882
Anm. 3) Wiener Abendpost (Beilage der Wiener Zeitung), 7.12.1882
Anm. 4) aus einer Kritik der Uraufführung, Neues Wiener Tagblatt, 7.12.1882
Anm. 5) vgl. hierzu die Ankündigung im Neuen Wiener Tagblatt vom 2.12.1882:
»Im Theater an der Wien ist man eifrig beschäftigt, um die Ausstattung der nächste Woche zur ersten Aufführung gelangenden Millöcker’schen Operette Der Bettelstudent zu vollenden. Im ersten Akte werden die Volksstämme Galiziens, Podolen, Huzulen, Krakusen, Mazuren, Rußniacken u.s.w. gruppenweise mit historischer Treue genau so erscheinen, wie diese Stämme gelegentlich der galizischen Kaiserreise in Krakau vor dem Monarchen erschienen sind.«
»Operette im Ausverkauf«
Musikalisches Unterhaltungstheater im Österreich der Zwischenkriegszeit [ 1989 ] – bestellen
Eine kulturgeschichtliche Einordnung der Wiener Operette
Die Wiener Operette als neue Unterhaltungsform des Bürgertums diente nicht der Reflexion, der Zeitkritik, war nicht mehr, wie noch Nestroys Stücke, Plattform eines unterdrückten Widerstandes gegen (die staatliche) Autorität.
Im Gegenteil, sie bestätigte die herrschende Gesellschaftsordnung, indem sie sie zu ihrer erstrangigen Inspirationsquelle machte.
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Operette im Ausverkauf
Die Wiener Operette entstand um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie entwickelte sich primär aus zwei Unterhaltungsformen des Bürgertums: aus dem Singspiel bzw. der komischen Oper einerseits und aus dem Alt-Wiener Volksstück andererseits. Die Voraussetzungen für das Entstehen der neuen Kunstgattung bildeten in musikalisch-dramatischer Hinsicht der »Kurswechsel« der Oper im 19. Jahrhundert, in politischer Hinsicht die Revolution von 1848.
Die Geburtsstunde
Impulsgeber Richard Wagner
Die Entwicklung der Oper des 19. Jahrhunderts war im deutschen Sprachraum vor allem durch die Impulse Richard Wagners geprägt, der in seinen Werken eine zunehmende Psychologisierung der Figuren anstrebte, welche als individuelle Charaktere (Leitmotive!) Seelenkonflikte durchzustehen und zu verkörpern hatten. Wagners Anliegen hatte zwei Konsequenzen, die sich für die Entwicklung der Operette als wichtig erwiesen: die allmähliche Verdrängung des Chors zugunsten der Beleuchtung von Einzelschicksalen (Ring!) und (in formaler Hinsicht) den Ersatz der Nummernstruktur mit dem lebendigen Wechsel von Musik und Prosatext durch die Form durchkomponierter, »bühnenweihfestspielartiger« Ein- bis Zwei-Stunden-Akte. Anm. 1)
Dies war nicht jedermanns Sache. Kein Wunder, dass das Publikum der Spieloper nach eben jenen Elementen rief, die Wagner und andere Komponisten aufgegeben hatten.
Oper-ette
Dem Bürgertum seine eigene Kunst:
Mit der um 1850 einsetzenden Landflucht begann sich das städtische Bürgertum Wiens auszudehnen. Durch den Zustrom aus allen Gebieten der Monarchie wuchs Wien zwischen 1840 und 1910 um 259% Anm. 2). In der Stadt entstanden neue Gesellschaftsschichten, die der Oper und insbesondere der Entwicklung der Oper in jener Zeit fremd gegenüberstanden und die ihre eigene Kunst forderten: die Operette.
Die Nachfrage nach traditionellem Unterhaltungstheater war groß, und – Offenbach konnte sie befriedigen. Der Offenbach-Boom aber, der 1858 einsetzte, war paradoxerweise gleichzeitig die Geburtsstunde der Wiener Operette. Der »Wiener« Operette? Tatsächlich. Denn Offenbachs Werke wurden in deutschen, nein, in Wiener Übersetzungen (meist von Carl Treumann) gespielt, wodurch sie viel von ihrer gesellschaftlichen und politischen Sprengkraft und somit von ihrer ursprünglichen Identität verloren. »Offenbach kam nach Wien; nicht er, sondern das, was man in Wien aus ihm gemacht hat, gab den Anstoß zur Entstehung der Wiener Operette.« Anm. 3) Erst Karl Kraus hat später in seiner Übertragung die einstige Aktualität wieder herzustellen versucht.
Offenbach füllt das Vakuum!
Gleichwohl, Offenbachs Werke erlebten in Wien begeisterte Resonanz, füllten sie doch stilistisch genau jenes Vakuum, das durch den Wandel der Oper entstanden war. Die neue Kunstform der Operette bot ihrem Publikum fassliche Nummern und chorischen Glanz. Der Chor rückte wieder ins Rampenlicht, ja er wurde zum eigentlichen Protagonisten erkoren. Anm. 4) Die Operette machte sich im Gegensatz zur deutschen Oper des 19. Jahrhunderts nicht Individualisierung, sondern Kollektivierung und Popularisierung zu ihrem Anliegen und reagierte damit auf die wirtschaftspolitische Realität der Zeit: Die anonyme Masse eines emanzipierten Bürgertums und einer Arbeiterschaft, die dem Industriekapitalismus einer Minderheit gegenüber zunehmend auf ihren Stellenwert pochte, fand gerade im Chor eine adäquate Identifikationsbasis. Anm. 5)
Revolution – Resignation – Illusion
Das Scheitern der Revolution als Voraussetzung für die Operette
Das Scheitern der Revolution von 1848 war die politische Voraussetzung für das Entstehen der typischen Wiener Operette, die sich so wesentlich von ihrer Vorgängerin, der französischen Operette Offenbachs, unterscheidet. War im Alt-Wiener Volksstück Sozialkritik in Form von Satire, wenn auch durch die Zensur kontrolliert, ein die Stücke prägendes Anliegen gewesen, so ist in der Wiener Operette gesellschaftsveränderndes Engagement kaum oder gar nicht zu spüren. Der Grund für die Abkehr der Wiener Operette von der Tagespolitik – eine Abkehr, die für die Gattung bis zu ihrem Untergang typisch bleiben sollte! – ist in den Ereignissen von 1848 zu suchen: Sie war die Konsequenz der Zerschlagung der Volksaufstände und der Bekräftigung der Monarchie durch Kaiser Franz Joseph am 2. Dezember. Anm. 6)
Die Operette: nicht Reflexion, nicht Zeitkritik
Die Wiener Operette als neue Unterhaltungsform des Bürgertums diente nicht der Reflexion, der Zeitkritik, war nicht mehr, wie noch Nestroys Stücke, Plattform eines unterdrückten Widerstandes gegen (die staatliche) Autorität. Im Gegenteil, sie bestätigte die herrschende Gesellschaftsordnung, indem sie sie zu ihrer erstrangigen Inspirationsquelle machte.
Es konnte nicht mehr länger darum gehen, Standesgrenzen zu beseitigen; die Vorstellung eines gesellschaftlichen Umbruchs war 1848 schlagartig zerstört worden. Für den Bürger allenfalls noch vorstellbar blieb lediglich die Idee, diese Standesgrenzen (durch Heirat, Erbschaft, …) zu überspringen und so der Welt des Adels selbst anzugehören: eine Wunschvorstellung des Theaterpublikums, die durch die Operette großzügig erfüllt wurde. In der Wiener Operette wird Klassenbewusstsein nicht mehr in Frage gestellt, sondern im Gegenteil gefördert, indem Kleinbürger mit der Welt der Adeligen, der Weit also jenseits ihrer eigenen Standesgrenzen, liebäugeln.
Dass man durch diese Vorgangsweise das Publikum zwar gewinnen konnte, dem eigentlichen Anliegen des Bürgers aber, seiner Emanzipation, entgegenwirkte, kam wohl den wenigsten Theaterbesuchern zu Bewusstsein.
Happy End
Ein deutliches Anzeichen für die unpolitische Haltung der Wiener Operette ist ihre Forderung nach einem happy end. Negative Schlüsse waren im Volksstück vor 1848 durchaus denkbar gewesen, wenn sie auch die Zensur meist beanstandet hatte. Anm. 7) Mit der österreichisch-ungarischen Monarchie aber, als Folge eben der politischen Resignation des Bürgertums, etablierte sich in der Wiener Operette das Selbstverständnis einer positiven, »harmonischen« Lösung theatralischer Konflikte.
Operettenoptimismus auf den Trümmern des Habsburgerreiches?
Erst mit dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches und des ganzen moralisch-gesellschaftlichen Systems nach 1918 wurde der plakative Operettenoptimismus wieder relativiert. Lehárs negative Operettenschlüsse haben vor dem Hintergrund der Ersten Republik nicht nur die (ohnehin schon versunkene) Monarchie, sondern auch die Gattung Operette als eine ihrer populärsten künstlerischen Ausdrucksformen nachdrücklich in Frage gestellt.
Anti-Operetten
Die Anti-Operetten-Schlüsse bei Horváth schließlich sind nicht nur Frucht seiner literarischen Opposition zum Unterhaltungstheater, nicht nur der Versuch einer Entlarvung von Klischee und Lüge, sondern gleichzeitig Zeugen eines in der Zwischenkriegszeit gewandelten Moralbegriffs, der sich von Verhaltensnormen der Monarchie, wie sie die Operette eben mit ihren happy ends stillschweigend anerkannt hatte, empfindlich abhebt: »In Umkehrung zum alten Volksstück [und wohl auch zur Operette!] werden bei Horváth nicht die Guten in einer guten Welt belohnt und die Schlechten bestraft, sondern in einer schlechten Welt sind es die Schlechten, die belohnt werden, und die Guten, die bestraft werden.« Anm. 8)
Kunstgattung einer Gesamtstaatsidee
Betrieb die Wiener Operette mit ihrer illusionistischen Märchenwelt Bewusstseinstäuschung, so war sie doch im 19. Jahrhundert legitimer Ausdruck ihrer Zeit und hatte als »Kunstgattung einer Gesamtstaatsidee« Anm. 9) sogar politische Aussagekraft. Der Zigeunerbaron und Polenblut etwa sind deutliche »Versuche, die antagonistischen Tendenzen des Vielvölkerstaates auszugleichen« Anm. 9); Versuche, denen Erfolg beschieden war, da die Operetten aufgrund ihres Unterhaltungsangebotes sich die Länder der gesamten Monarchie als Wirkungskreis erschließen konnten.
Die Wiener Operette »nahm sich nicht nur in zahlreichen Librettos der Thematik der Gesamtmonarchie in ihrer Pluralität an. Sie repräsentierte auch durch die folkloristische Vielfalt ihrer Musik alle Völker und Nationalitäten des Vielvölkerstaates. […] Die Nationen dieses Reiches fanden sich selbst in den Operetten wieder und akzeptierten zugleich mit ihren eigenen auch die fremden‘ Elemente als die ihren. So wurde die Wiener Operette zu einer Zeit des Nationalismus tatsächlich unversehens zu der (einzigen) gemeinsamen künstlerischen Ausdrucksform der Gesamtmonarchie, mit enormer sozialpolitischer und kultureller Breitenwirkung und Relevanz.« Anm. 10)
Pluralität in der Operette
Dies trifft auf die Operette des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts zu. Durch den Zusammenbruch der Monarchie erfuhr die Wiener Operette freilich einen Schock, der sich zwar in der Musik und in den Libretti auf den ersten Blick kaum erkennen lässt, der aber ihre Identität aufs schwerste erschütterte. Sie verlor die Basis, die Grundlage dessen, was sie auszudrücken bestimmt war: die Gesamtmonarchie. Konnte sich die Wiener Operette in der Ersten Republik nun eine neue Basis schaffen? War sie in ihre Zeit überhaupt noch integriert? Inwiefern war die Operette der Zwischenkriegszeit Ausdruck der Gesellschaft, die sie ansprechen wollte? Wodurch unterscheidet sie sich von der Operette des 19. Jahrhunderts und warum wird sie jener so häufig künstlerisch untergeordnet?
All diese Fragen werden im Rahmen des Buches Operette im Ausverkauf geklärt und darüber hinaus zahlreiche weitere Themenbereiche angesprochen, die nicht nur die Entwicklung der Operette, sondern die Geisteshaltung der Zwischenkriegszeit insgesamt umfassend beleuchten: Produktionsmechanismen der Unterhaltungs-industrie, Realitätsflucht und habsburgischer Mythos, Erotik und Emanzipation, Exotismus sowie die Kunstideologie der gesellschaftlichen Mittelschichten und ihrer theatralischen Entsprechung, der Operettenszene. Dass dies auf durchwegs unterhaltsame Weise geschieht, ist vorrangig den Operettenlibrettisten und ihren Büchern zu verdanken, deren Lektüre manchmal ein größeres Maß freiwilligen und auch unfreiwilligen Humors vermittelt, als dies die opulenteste szenische Aufführung vermöchte.
Anmerkungen:
Anm. 1) Vgl. Volker Klotz, Bürgerliches Lachtheater. München 1979/80, S. 208.
Anm. 2) Vgl. Franz Hadamowsky und Heinz Otte, Die Wiener Operette. Wien 1947.
Anm. 3) Hans Weigel, Apropos Musik. Zürich 1947, S. 191.
Anm. 4) Vgl. Volker Klotz, Bürgerliches Lachtheater. München 1979/80, S. 207.
Anm. 5) Vgl. Volker Klotz, Bürgerliches Lachtheater. München 1979/80, S. 210 und 256/57.
Anm. 6) Vgl. Hartwin Gromes, Vom Alt-Wiener Volksstück zur Wiener Operette. Diss. München 1967, S. 52.
Anm. 7) Vgl. Hartwin Gromes, Vom Alt-Wiener Volksstück zur Wiener Operette. Diss. München 1967, S. 34.
Anm. 8) Vgl. Hartwin Gromes, Vom Alt-Wiener Volksstück zur Wiener Operette. Diss. München 1967, S. 95.
Anm. 9) Moritz Csáky, »Identität – in der Operette zu finden?«, in: Die Presse, 16./17.4.1983.
Anm. 10) Moritz Csáky, »Identität – in der Operette zu finden?«, in: Die Presse, 16./17.4.1983.
Vorwort (Wendelin Schmidt-Dengler) / Presse
Die Operette als kulturgeschichtliche Fundgrube
Die Textbücher der Operette sind eine Fundgrube für jeden, der etwas über den Umgang der Österreicher mit ihrer kulturellen Identität in Erfahrung bringen will.
Sie müssen als Zeugnisse ernst genommen werden, wenn auch nicht tierisch ernst.
Martin Lichtfuss analysiert solche Gebilde aus der Zeit nach 1918, Gebilde, die der Literaturwissenschaft bislang kaum zum Problem geworden sind und die doch außerordentlich problematisch sind.
Grundlagenforschung
Grundlagenforschung war vonnöten: Lichtfuss ging – ein außerordentlich strapaziöses und doch lohnendes Unterfangen – der Biographie der Librettisten nach, verglich Fassungen, ließ sich auf die Aufführungsgeschichte ein, sichtete Rezensionen.
Das Stadium, in dem sich die Operette damals befand, war ein prekäres: Es ist nicht mehr die Zeit der »goldenen« Operette, auch das Silber wirkt schon fleckig, und doch gab es noch große Erfolge, und so verfügen wir nur über wenig Material, das so viel Aufschluss darüber gibt, wie die Konkursmasse der Donaumonarchie mental verwertet und verwaltet wurde.
Die Operette konservierte nach außen hin den Zauber der Montur und das, was sie für den Charme des Vielvölkerstaates hielt; sie konnte auch ins Exotische mutieren oder sich als Staatskunst offizieller Weihen versichern, und dass sie sich zum Tragischen verstieg, war ihre Tragödie.
Die Analyse dieser Texte erfordert besondere Voraussetzungen: Martin Lichtfuss ist Musiker und Germanist in Personalunion – und so kann er auf die Textnuancen hören und die Botschaft der Musik dechiffrieren.
Presse
Was macht den Erfolg einer Operette aus? Was ihre spezifische Ausstrahlung? […] Martin Lichtfuß zerlegt das Phänomen, setzt es mosaikartig wieder zusammen, zitiert, untersucht aus der Perspektive der Texte. »Operette im Ausverkauf«: Kein holdseliges Buch über den »höheren Unsinn«, vielmehr eine sehr treffende, blitzgescheite Analyse.
Gerhard Rosenthaler, AZ/Tagblatt
Studien, die in ihrer dramaturgischen Qualität an die Erkenntnisse über die Operette im »Bürgerlichen Lachtheater« von Volker Klotz heranreichen.
Hans-Dieter Roser, Österreichische Musikzeitschrift 1/1992
Zur Rentabilität kultureller Einrichtungen
[ 2004 ]
Kurzschlussartige Übertragungen …
Schulen, Theater oder Orchester weisen ebenso wie Fabriken die Charakteristik von Betrieben auf, und auch in ihren Fällen steht der Einsatz beträchtlicher Mittel im Dienste der Erzeugung bestimmter »Endprodukte«. Diese aber sind — wenn überhaupt — nur äußerst bedingt miteinander vergleichbar. Eine Evaluierung der jeweiligen Produktionsmechanismen von Kultur und freier Wirtschaft mit dem Blick auf beide Bereiche erscheint zwar reizvoll und ist durchaus erhellend, darf aber nicht zu kurzschlussartigen Übertragungen führen und Folgerungen für die eine Seite aus Erkenntnissen der anderen ableiten.
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Geld: Maßstab für Wert und Wertigkeit
Die Frage nach der Wertigkeit eines Unternehmens spielt in der Wirtschaft eine entscheidende Rolle, und ein stimmiges Verhältnis zwischen Geben und Nehmen (im Fachjargon: Input und Output) stellt eine Schlüsselqualifikation, wenn nicht sogar die entscheidende Voraussetzung für die Daseinsberechtigung eines Betriebes dar.
Für die Beurteilung der Wertigkeit bietet sich aus ökonomischer Sicht das Mittel des Geldes an: Es stellt in der Marktwirtschaft den Maßstab schlechthin für Wert und Wertigkeit dar, und die Produktionskette von Investition — Verarbeitung — Ertrag lässt sich durch die Evaluierung von Zahlen und Fakten durch keine andere Kategorie so objektiv messen wie durch jene des Geldes.
Wir nehmen nicht mehr, als wir geben
Für ein Unternehmen, das in gesellschaftlicher Verantwortung agiert und sich als Teil eines größeren Ganzen versteht, hat der Grundsatz zu gelten: »Wir nehmen nicht mehr, als wir geben«, oder anders ausgedrückt: »Wir geben nicht weniger, als wir nehmen.« Will ein Unternehmen nachhaltig erfolgreich sein, muss von Anfang an auf eine harmonische Relation von eingesetztem Kapital und zu erwartendem Ertrag geachtet werden. Wo dies nicht geschieht, kommt es früher oder später zum Crash — schlimmstenfalls in Form von Schließung eines Betriebes bzw. durch Konkurse. Um derartigen Entwicklungen möglichst vorzubeugen bzw. um diese zu verhindern, haben sich im Rahmen unserer gesellschaftlichen Ordnung gewisse Schutzmechanismen ausgeprägt, welche ein allzu großes Ungleichgewicht zwischen Nehmens-Verhalten und Gebens-Vermögen verhindern sollen — von bestimmten Rahmenbedingungen für Investitionszusagen bis hin zu Kreditbestimmungen beim Aufbau von Betrieben. Die wirtschaftliche Realität zeugt davon, dass dies leider nicht immer gelingt.
Billige Massenware und höchstqualifizierte Spezialprodukte
Im Streben nach Einklang zwischen den beanspruchten Ressourcen und der wirtschaftlichen Leistung eines Betriebes kann sich das Augenmerk schwerpunktmäßig auf beide Stationen in der Produktionskette richten. Die Suche nach billigen Grundstoffen und/oder Arbeitskräften, gepaart mit einer mehr oder weniger starken Kompromissbereitschaft hinsichtlich der Qualität der Endprodukte etwa zielt darauf ab, diese möglichst preisgünstig und damit konkurrenzfähig zu positionieren, während sich der Einsatz »teurerer« Produktionsmechanismen durch den Hinweis auf ein angemessenes »Preis-Leistungsverhältnis« rechtfertigen lässt, namentlich dann, wenn ein Betrieb mit seinen Produkten eine herausragende Spitzenqualität anstrebt, die ihrerseits unter Umständen sogar »konkurrenzlos« sein könnte. Das gegenwärtige gesellschaftliche und marktwirtschaftliche Umfeld lässt eine zunehmende Polarisierung erwarten, sodass sich zumindest kurz- und mittelfristig die beiden extremen Unternehmensprofile — billige Massenware und höchstqualifizierte Spezialprodukte — eher durchsetzen dürften als ein in Bezug auf das eingesetzte Kapital durchschnittliches »Mittelfeld«, auch dann, wenn das Verhältnis von In- und Output »nur« ausgeglichen bleibt.
Evaluierung der Produktion von Kulktur
Mit dem Blick auf Bildungseinrichtungen und kulturelle Institutionen muss vorab jedoch betont werden, dass dort weitgehend andere Rahmenbedingungen und Voraussetzungen vorliegen als in der freien Wirtschaft. Zwar weisen etwa Schulen, Theater oder Orchester ebenso wie Fabriken die Charakteristik von Betrieben auf, und auch in ihren Fällen steht der Einsatz beträchtlicher Mittel im Dienste der Erzeugung bestimmter »Endprodukte«. Diese aber sind — wenn überhaupt — nur äußerst bedingt miteinander vergleichbar. Eine Evaluierung der jeweiligen Produktionsmechanismen von Kultur und freier Wirtschaft mit dem Blick auf beide Bereiche erscheint zwar reizvoll und ist durchaus erhellend, darf aber nicht zu kurzschlussartigen Übertragungen führen und Folgerungen für die eine Seite aus Erkenntnissen der anderen ableiten.
Produkte nicht messbar
Der fundamentale Unterschied ergibt sich allein dadurch, dass im Bildungs- und Kulturbetrieb die Endergebnisse als »Produkte« in ungleich höherem Maße der subjektiven Wahrnehmung ihrer »Konsumenten« unterworfen und daher nicht wie jene eines Wirtschaftsbetriebes messbar sind. Das wird zwar immer wieder versucht, etwa, indem man aus Besucherquoten oder Einspielergebnissen bzw. dem Anteil der Eigendeckung kultureller Manifestationen Schlüsse zieht. Kann sich eine Theaterproduktion etwa im brancheninternen Vergleich behaupten oder gar Besucherzuwächse verzeichnen, werden sich Argumente gegen das Unternehmen schwerer durchsetzen lassen als in gegenteiligen Fall. Bei mangelndem Besucherinteresse hingegen wird als Rechtfertigungsgrund zumeist auf den Bildungsauftrag der Institution verwiesen, dem ein Massenpublikum als Zielgruppe entgegenstünde, und ebenso der Anspruch von Minderheiten auf entsprechende »Unterhaltung« bzw. Auseinandersetzung ins Treffen geführt. Das kann soweit gehen, dass eine große Breitenwirkung kultureller Projekte als Indiz für die Anbiederung an einen »billigen Massengeschmack« verstanden bzw. unterstellt wird.
Kompromisslose Formulierung künstlerischer Botschaften
Der Rückzug der sog. Hochkultur auf kleine Zielgruppen hat Tradition: So hat sich Alban Berg, immerhin der bedeutendste Musikdramatiker des 20. Jahrhunderts, bereits 1924 die ernsthafte Frage gestellt, was er denn angesichts der Breitenwirkung seines Wozzeck »falsch gemacht« habe(!). Anm. 1) Wenn es in erster Linie um die kompromisslose Formulierung künstlerischer Botschaften und Qualitäten geht, geraten die AdressatInnen mitunter schon aus der Zielrichtung. Das kann bis hin zur Missachtung des Publikums gehen: A. Schönbergs sarkastische Abrechnung mit der Masse der Konzertbesucher, deren Präsenz allein »aus akustischen Gründen unentbehrlich ist, weil’s im leeren Saal nicht klingt Anm. 2), war ebenso verhängnisvoll wie zukunftsweisend Anm. 3); dass sie dies auf lange Sicht auch weiterhin bleiben wird, darf bezweifelt werden. — Im Umkehrschluss der Missachtung kultureller Massenveranstaltungen bietet sich für (gemessen am Publikumszuspruch) mäßig erfolgreiche Künstler der Verweis auf die elitäre Charakteristik ihrer Projekte als Rechtfertigung quasi von selbst an und macht sie so auf bequeme Weise unangreifbar. Spätestens hier ist Kulturpolitik gefordert.
Gesellschaftlicher Hintergrund des Sponsorings
Abseits der Frage, ob ein künstlerisches Unternehmen als gelungen einzuschätzen ist oder nicht, steht fest, dass bei kulturellen Projekten nur in seltensten Fällen eine finanzielle Eigendeckung vorauszusetzen ist, sofern man nicht von Verhältnissen ausgeht, wie sie etwa in den USA herrschen. Das dort längst etablierte Sponsoring als Grundvoraussetzung für Kulturveranstaltungen fußt auf einer langjährigen Tradition und spiegelt ein zu zentraleuropäischen Verhältnissen deutlich unterschiedliches Gesellschaftssystem wider. Dem Vorteil, dass geistige Auseinandersetzung im Allgemeinen und kulturelle Manifestationen im Besonderen den Staatshaushalt weniger belasten, steht der nicht zu leugnende Nachteil einer geringeren Breitenwirkung entgegen. Anm. 4)
Dies schlägt sich zwar nicht unmittelbar in den Spitzenleistungen der Bereiche von Bildungs- und Kultureinrichtungen nieder; ein diesbezüglicher Vergleich zwischen Europa und den USA ginge sicher nicht zu Lasten der »Neuen Welt« aus — im Gegenteil: Die Spitzenforschung als Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg wurde in Amerika längst vor Europa erkannt und gefördert.
Was aber die gesellschaftlichen Auswirkungen geistiger und kultureller Initiativen betrifft, darf man Zentraleuropa getrost Überlegenheit zusprechen: Die Charakteristik amerikanischer Wahlkämpfe (ganz zu schweigen von deren Ausgang) und die Ergebnisse der sog. PISA-Studie sprechen für sich. Auch wenn diese Behauptung kühn scheint: Die unterschiedliche Einschätzung des Irak-Kriegs durch die Öffentlichkeit diesseits und jenseits des Atlantik hat, neben vielen anderen Ursachen, auch im unterschiedlichen Bildungshorizont der jeweiligen Mittelschichten ihre Entsprechung. Anm. 5)
Staatliche Förderung als Bekenntnis
Hierzulande ist die staatliche Förderung von Bildung und Kultur als Grundfaktor europäischer Tradition nach wie vor anerkannt und beruht auf dem Bekenntnis, grundsätzlich allen Bevölkerungsgruppen, ungeachtet ihres sozialen oder finanziellen Hintergrundes, den Zugang zu jenen Domänen geistiger Auseinandersetzung zu sichern, die in Zeiten feudaler Gesellschaftsordnungen aristokratischen Schichten vorbehalten waren. In der Bereitstellung einer kulturellen Infrastruktur abseits aller Fragen nach »Rentabilität« liegen freilich auch Gefahren: Wenn etwa Strebsamkeit und Ehrgeiz für bestimmte Berufsgruppen (so etwa für MusikerInnen, aber ebenso für LehrerInnen) in besonderer Weise eine Grundlage ihrer Berufsausübung darstellen, so werden diese durch ein gewisses (!) Maß an Konkurrenz eher gefördert als durch die »Ver-Beamtung« ihrer beruflichen Positionen. Und wenn Künstler zur Entfaltung ihrer Fantasie Freiräume — und im besonderen auch finanzielle Mittel der öffentlichen Hand — zu Recht beanspruchen, so steht dieser Forderung die grundsätzliche Möglichkeit des Missbrauchs lukrierter Mittel gegenüber, bis hin zu einem Privilegientum, das untere dem Deckmantel »künstlerischer Freiheit« öffentliche Gelder mehr zu Nutzen bestimmter (nicht selten skandalträchtiger) Karrieren als zum öffentlichen Wohl einsetzt. Leider zehren nicht wenige Künstler immer noch vom Missbrauch der Kunst durch die jüngsten Diktaturen (insbes. während der NS-Zeit), indem sie jene, die ihre Leistungen nicht goutieren, explizit oder implizit einer autoritären Kunstgesinnung bezichtigen und sich auf diese Weise der Kritik zu entziehen versuchen.
Evaluierung – ein Gebot der Stunde
Resultierend aus einer kritischen Beurteilung vergangener Kultur- und Bildungspolitik, aber auch bedingt durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Notwendigkeit von Einsparungen, wird die bisherige Praxis der Kulturförderung in jüngerer Vergangenheit zunehmend mit dem Verweis auf alternative Modelle (bes. im angelsächsischen Raum) angezweifelt.
An eine pauschale »Übernahme« der dort etablierten Modelle ist schon aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Gewerkschaften!) nicht zu denken. Allerdings scheint ein Evaluierung der vorhandenen Betriebe und die Suche nach möglichen Einsparungen ein Gebot der Stunde. In Zusammenhang mit dem Begriff »Synergien« (oft genug euphemistisch gebraucht!) stehen nicht wenige Arbeitsplätze zur Diskussion.
An der Frage nach der Effizienz von Bildungseinrichtungen und kulturellen Institutionen wie Theatern, Orchestern, Galerien etc. kommen PolitikerInnen gegenwärtig nicht vorbei, auch wenn eine objektive Einschätzung so gut wie unmöglich erscheint, zumal es verbindliche Maßstäbe und Werte im Bereich von Kunst und Bildung nicht geben kann. Dennoch sind sie zum Handeln gefordert. Worauf aber können ihre Entscheidungen gründen?
Conclusio
Aus den vorangegangenen Überlegungen ergeben sich hierzu folgende Aussagen:
- Kunst ist, wenn überhaupt, allenfalls in Teilbereichen und nur sehr unzureichend messbar. Zudem sinkt mit steigender Individualität der Aussage auch deren Vergleichbarkeit.
- Aufgrund des immanent defizitären Charakters von Bildung & Kultur resultiert der Versuch einer ökonomischen Bewertung dieser Bereiche automatisch in deren Charakterisierung als »Verlustgeschäft«. Es sei denn, die Berechnungen wären extrem komplex und bezögen sämtliche Auswirkungen der geprüften Instanzen ein, was de facto nicht möglich ist und auch nie geschieht.
- Daher sind Kultur und Bildung dort gefährdet, wo sie nicht auf der persönlichen Überzeugung der verantwortlichen Personen/Gruppen beruhen (»Bildungsauftrag«).
- Aus der Einsicht, dass die Effizienz von Bildungs- und kulturellen Einrichtungen nicht mit Messdaten adäquat erfasst werden kann, ergibt sich, die entsprechenden Institutionen nicht primär aus ökonomischer Perspektive und unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität zu beurteilen und den wirtschaftlichen Daten stets die inhaltliche Wertschöpfung gegenüberzustellen. Ermittlungen des Rechnungshofs u.ä. Maßnahmen können nur einen kleinen Teil des outputs — jedenfalls nicht den wesentlichen — erfassen.
- Kulturförderung (im Sinne einer zentraleuropäischen Tradition) sollte immer subjektiv bestimmt bleiben (dürfen). Leugnet man dies, kommt es zum (übereinstimmend geringgeschätzten) sog. »Gießkannenprinzip«.
- Dies setzt verantwortliche Führungskräfte mit entsprechend weitem kulturellen Horizont voraus, welche das Bekenntnis zur Subjektivität nicht mit einer Verabsolutierung des eigenen (notwendigerweise beschränkten) Standpunktes verwechseln, sondern ermessen können, was gesamtgesellschaftlich effizient und damit förderungswürdig ist und was nicht. Die Einbeziehung von BeraterInnen ebenso wie Teamarbeit insgesamt kann ein wirksames Gegengewicht zu einer potenziellen Gefahr der »Parteilichkeit« bilden.
- Anders als in der Wirtschaft, wo eine unmittelbare Nutzenorientierung ein zentrales Kriterium darstellt, kann in kulturellen Kategorien allenfalls eine mittelbare Nutzenorientierung dagegengesetzt werden. Anm. 6) Denn hier treten die positiven Auswirkungen mindestens ebenso oft indirekt als direkt zutage. Anm. 7) Zudem ist die Existenz eines breiten Umfeldes eine der unverzichtbaren Grundvoraussetzungen zur Hervorbringung von künstlerischen Spitzenleistungen. Daher ist im Bereich von Bildung und Kultur dem Verlust der »Mitte«, wie er in nächster Zukunft gesamtwirtschaftlich zu erwarten ist, entgegenzuwirken.
Anmerkungen:
Anm. 1) Vgl. hierzu: Erich Alban Berg, Der unverbesserliche Romantiker. Alban Berg 1885-1935. Wien 1985, S. 99.
Anm. 2) Arnold Schönberg, Briefe. Hg. von Erwin Stein. Mainz 1958, S. 52. Schönbergs Worte sind adäquat nur vor dem Hintergrund seiner persönlichen Schwierigkeiten als Folge seiner künstlerischen Integrität einzuschätzen.
Anm. 3) Indirekt zwar, aber überdeutlich manifestiert sich eine späte Spur dieser Kunstauffassung im Titel von P. Handkes seinerzeitigem »Aufreger« Publikumsbeschimpfung (1966).
Anm. 4) Die im Vergleich zu Europa kümmerliche Dichte der amerikanischen Orchester- und Theaterlandschaft darf hier als eindeutiges Indiz gelten.
Anm. 5) Vgl. hierzu die Aussagen der amerikanischen Zeitschrift Investors Business Daily, 10.12.2001.
Anm. 6) Schwindende Perspektiven für »durchschnittliche« Produkte haben sich zwar bereits auch dort ergeben, wo marktwirtschaftliche Grundsätze regieren, etwa im Bereich von CD-Produktionen.
Anm. 7) »Wer musiziert, nimmt keine Knarre in die Hand« (H.W: Henze)
Alle für einen? – Einer gegen alle?
Zur Wechselwirkung von Orchestermusikern und Dirigenten in Verbindung mit Fragen musikalischer Wertschätzung und Wertschöpfung. [ 2004 ]
Wer ist der „Chef“?
Die Zeiten der »uhrenzertrampelnden«, »stäbezerbrechenden« Toscaninis und wütend schmähenden Celibidaches sind vorbei, das aktuelle Leitbild von Orchesterleitern entspricht eher dem Typus von Partnern bzw. Koordinatoren …
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Das Orchester als »Unternehmen«?
Das Orchester – ein Kollektiv aus Individualisten
Als Gruppe von 60 bis 80 Individualisten bildet ein Orchester ein Kollektiv, für das es in der freien Wirtschaft keine wirkliche Entsprechung gibt. Eine äußerst komplexe, von Widersprüchen geprägte Konstellation unterschiedlichster Personen und Charaktere tönt im Moment des Konzertes »wie aus einem Munde« und bündelt sich zu einer Erscheinung, die angesichts der dahinter stehenden divergierenden Kräfte und Spannungen eine geradezu unerklärliche Verkörperung harmonischen Zusammenwirkens darstellt; ein Bild, das abhängig von der Güte des Dirigenten und anderer Rahmenbedingungen einmal mehr, einmal weniger überzeugend ausfällt, welches aber insgesamt doch, wenn man sich als Unbeteiligter die Umstände des Wirkens vergegenwärtigt, in seiner Geschlossenheit wie ein Wunder anmutet. Woran liegt das?
Der Dirigent – Partner und Koordinator?
Zum einen zweifellos an der Kraft der Musik, für die der Komponist verantwortlich ist. Dies ist hier nicht weiter zu verfolgen. Zum anderen wird oft auf die integrierende Kraft des Dirigenten verwiesen. Unter bestimmten Umständen mögen diese Person und ihr Wirken tatsächlich so dominant sein, dass sie die anderen Faktoren überlagern. Doch dies ist die Ausnahme, und im übrigen hat sich der Status der künstlerischen Leiter gewandelt: Die Zeiten der »uhrenzertrampelnden«, »stäbezerbrechenden« Toscaninis und wütend schmähenden Celibidaches Anm. 1) sind vorbei, das aktuelle Leitbild von Orchesterleitern entspricht eher dem Typus von Partnern bzw. Koordinatoren. Im Widerspruch dazu stehen oft die Erwartungen des Arbeitsumfeldes, in welchem eine überragende künstlerische Autorität gepaart mit kollegialer Umsicht gewünscht wird, die zudem internationales Format und entsprechenden »Marktwert« mit regionaler Hingabe zu verbinden versteht und zu moderaten Preisen zu »haben« ist — eine »eierlegende Wollmilchsau«, die so gut wie nie zu finden ist. Das Projizieren unrealisierbarer Wünsche/Sehnsüchte in die Person des GMD ist freilich nur einer der Widersprüche im »Getriebe« eines Orchesters.
Spannungserzeugende Faktoren
Spannungen im Mechanismus Orchester?
Dass dieses funktioniert, ist gewissen Rahmenbedingungen zu verdanken, welche die Voraussetzungen für ein (möglichst reibungsarmes und) ökonomisches Funktionieren darstellen. Wenn man diese untersucht, legt man gleichzeitig die Hintergründe des »Mechanismus« Orchester frei und stößt auf merkwürdige, teils geradezu »schizophrene« Konstellationen.
Ausbildung und berufliche Realität der Orchestermusiker
Werden Orchestermusiker im Rahmen ihrer Ausbildung schwerpunktmäßig als Solisten geprägt (auch beim Probespiel wird das diesbezügliche Können beurteilt), so geht es im Orchesteralltag entweder zur Gänze (Tuttistreicher) oder zum Großteil um die Fähigkeit der Integration in eine Gemeinschaft, deren Ganzes mehr als die Summe der einzelnen Kräfte ergibt. Während man als Solist zu größtmöglicher individueller Aussage aufgefordert ist, so gilt im Orchesterverbund zumeist die entgegengesetzte Losung: der Anspruch, sich einzufügen in einen einheitlichen Gesamtklang, der durch das Umfeld bestimmt wird, und in die Interpretationsvorgabe des jeweiligen Dirigenten.
Bruchstückhaft ist dann auch oft die musikalische Wahrnehmung: wenn ein Musiker etwa unmittelbar vor dem Schlagwerk oder den Posaunen positioniert wird, welche das Geschehen bis über die Schmerzgrenze hinaus übertönen (was gelegentlich sogar den Einsatz von Lärmschutzwänden u.ä. Vorkehrungen notwendig macht!). Spätestens in diesen Momenten geht für den individuellen Musiker der Blick auf das Ganze verloren; was bleibt, ist die Erfahrung des eigenen Parts als klangliches »Fragment«.
Der Verlust des Individuums
Mechanische Wiedergabe der Fremdauffassung?
Allenfalls in Solopassagen, sofern ihnen solche übertragen sind, können MusikerInnen ihre persönlichen Anschauungen einbringen, freilich in Übereinstimmung mit dem Grundkonzept der Aufführung. Wichtige Entscheidungen — etwa der Tempowahl — liegen außerhalb ihres Einflussbereichs, und die Beurteilung eines Dirigenten seitens der Musiker entzündet sich nicht selten an der Frage, inwieweit sich die eigene Auffassung des jeweiligen Werkes mit der Fremdauffassung deckt. Routiniers haben es da leichter: Sie haben im Laufe der Zeit die nötige abgeklärte Distanz bzw. Akzeptanz entwickelt, welche auf der Kenntnis unterschiedlicher zulässiger Interpretationsspielräume gründet. Oder aber sie haben aufgrund signifikanter Erlebnisse der Vergangenheit eine bestimmte Lösung im Kopf, an der dann die jeweilige Aufführung und ihre LeiterIn gemessen werden. Beides geht jedenfalls mit dem Verlust eigener Standpunkte einher.
Der Abbau von Risiko
Nach erfolgreich absolviertem Probespiel erfährt der junge Musiker auch vertraglich seinen neuen Status als Teil eines Kollektivs: Nach einem Probejahr mit dem Privileg der faktischen Unkündbarkeit ausgestattet kommt er in den Genuss sozialer Sicherheit und befindet sich somit relativ früh am Ziel, nachdem er während der Ausbildung gestrebt hat.
Das viele Üben hat sich schließlich gelohnt.
Diese Absicherung ist auch geradezu überlebensnotwendig angesichts der kaum hinterfragten Altersbegrenzung von 30–35 Jahren, welche bei Ausschreibungen von Orchesterstellen zumeist formuliert wird. Mit weitreichenden Folgen: MusikerInnen müssen danach trachten, bis zum Alter von 35 Jahren »möglichst hoch hinauf« zu kommen, d.h. Mitglieder eines künstlerisch möglichst arrivierten und gut dotierten Orchesters zu werden; mit Eintritt dieses Alters verlieren sie dann schlagartig die Perspektive auf einen weiteren Aufstieg und auf eine Instrumentalkarriere außerhalb ihrer bestehenden beruflichen Position.
Der Abbau von Motivation
Damit stellt sich — und dies nicht nur im schlechtesten Fall — ein entsprechender Motivationsverlust ein: Für das bestehende Dienstverhältnis hat man sich ja bereits bewährt.
Dieser Motivationsverlust wird verstärkt, wenn man nicht das Glück hat, (wie die Mitglieder von Eliteensembles) vorwiegend Musik zu spielen, die im Einklang mit der eigenen Ausbildung und den Vorlieben steht und die den körperlichen und emotionalen Einsatz lohnt. Die permanente Mitwirkung in zweitklassigen Operetten, »billig fabrizierten« Musicals oder gar im Umfeld minderwertiger Unterhaltungsmusik hat man ja mit seinen Instrumentalstudium seinerzeit wirklich nicht angestrebt — sollte man sich dafür auch noch engagieren?
Der Verlust von Befriedigung
Das Gefühl des »Hängengeblieben-Seins«
All diese Umstände führen zum grundsätzlichen Dilemma: Bis auf wenige Ausnahmen in Spitzentheatern, -orchestern und -ensembles sitzen ab dem Alter von etwa 35 Jahren nahezu überall »KünstlerInnen«, welche eigentlich mehr bzw. Höheres angestrebt hätten, als sie erreichen konnten. Unweigerlich resultiert daraus ein Gefühl des »Hängengeblieben-Seins« bis hin zu einer dauerhaften Frustration.
Derartiges ist sicherlich nicht auf Musiker beschränkt und gilt auch in anderen Berufsgruppen. Aber im Umfeld eines Orchesters hat man kaum eine Chance zur Verdrängung bzw. Bewältigung. Vielmehr wird man an das Gefühl der eigenen Unterlegenheit gegenüber »Erfolgreicheren«, sofern es sich einstellt, permanent erinnert: durch die orchestereigenen Hierarchien, durch welche ein Stimmführer den Tuttistreichern seiner Gruppe ebenso übergeordnet ist wie die Solobläserin ihren KollegInnen; durch das Engagement von prominenten Gästen als SolistInnen eines Solokonzertes, welche vorführen dürfen, was einem selbst nicht zugetraut wird; durch DirigentInnen schließlich, welche den musikalischen Ablauf viel weitgehender festlegen dürfen, als es die eigene Rolle im Verbund erlaubt und als man es ihnen künstlerisch zugesteht etc.
Dabei akzeptieren Musiker ihren Status bis zu gewissem Grad und fügen sich der vorliegenden Hierarchie, freilich ihrer eigenen Einschätzung entsprechend. Solange ihnen das Verhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit einer Person und der ihr zugeordneten Funktion kongruent erscheint, wird fachliche Überlegenheit im Allgemeinen toleriert bzw. akzeptiert: Wenn ein Solist tatsächlich brilliert, wird man wahrscheinlich gegen sein Engagement nichts einzuwenden haben und durchaus Anerkennung oder sogar Bewunderung aufbringen. Was aber, wenn bei einer ausgeschriebenen 2. Geigenstelle ein Kandidat das Rennen macht, welcher die Stimmführerin oder gar den Konzertmeister übertrifft?
Das setzt dann beide Vertreter ihrer Funktion unter Druck. Die etablierten Strukturen und Schutzmechanismen sorgen dafür, dass nicht immer der »Bessere« profitiert.
Soviel zu systemimmanenten Spannungserzeugern. Sie verbinden sich im Gefüge eines Orchesters mit gruppendynamischen Prozessen, Sympathien/Antipathien, inneren sozialen Konstellationen bis hin zu persönlichen Verwicklungen, die einem externen Beobachter schier unvorstellbar erscheinen. Da kann es durchaus vorkommen, dass sich die Gattin des Oboisten als Partnerin des Hornisten wiederfindet oder die Konzertmeisterin in den Armen des Dirigenten »landet«. Dass der 2. Flötist mit dem 3. schon seit Jahren kein Wort mehr wechselt, obwohl er nahezu täglich »auf Tuchfühlung« neben ihm sitzt. Oder dass der 1. Klarinettist den 2. immer wieder nervt, weil er seiner Wahrnehmung nach im piano permanent etwas zu hoch intoniert, dies aber bisher noch keiner so richtig beanstandet hat. Vieles mündet schließlich in der einen, essenziellen Frage: »Wann endlich erscheint der Dirigent, der damit Schluss macht?«
Der Dirigent als »Blitzab«-Leiter?
Weit über das Musikalische hinausgehende Fähigkeiten
Bei so vielen potenziellen Quellen zwischenmenschlicher Spannungen sind die Wünsche an die Verantwortlichen entsprechend hoch. Der Versuch, die Schranken des eigenen beruflichen Status‘ durch übermäßige Erwartungen an die musikalischen Leiter eines Orchesters zu kompensieren, ergibt sich nicht nur für frustrierte MusikerInnen quasi von selbst. Für all die angesprochenen Unstimmigkeiten und Spannungskonstellationen sollte der Chefdirigent Patentrezepte anzubieten haben. Worin denn sonst wäre die Leistung dieser Personen zu erblicken, welche es, gemessen an der eigenen Laufbahn, »leicht« zu haben scheinen: Sie mussten nicht auf die verlockende Perspektive einer nach oben offenen DirigentInnenkarriere verzichten und kommen in den Genuss vermeintlich lukrativer Gagen. Derlei Zugeständnisse erscheinen nur vertretbar, wenn die Erwartung einer überragenden musikalischen Kapazität durch eine Persönlichkeit eingelöst wird, die darüber hinaus noch über außerordentliches psychologisches Einfühlungsvermögen verfügt. Doch dies ist in der Realität leider allzu selten der Fall.
Die Fähigkeiten, die einem Dirigenten abverlangt werden, gehen weit über musikalische Zonen hinaus in psychologische, strategische, wenn nicht soziale Bereiche. Er müsste das Kräftespiel innerhalb eines Orchesters perfekt beherrschen, um interne Spannungen möglichst frühzeitig abfedern zu können oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Allzu schnell kann sonst der Eindruck entstehen, jemand erdreiste sich allein aufgrund seiner Position, inhaltliche Entscheidungen zu treffen und musikalische Abläufe zu bestimmen, ohne mit einer entsprechenden fachlichen Qualifikation ausgestattet zu sein. Denn diese ist mit jener der Orchestermitglieder letztlich nicht vergleichbar und damit oft und schnell der Kritik ausgesetzt: Was wiegt denn eigentlich die Technik des »Taktschlagens«, die bald jemand beherrscht, angesichts der immensen instrumentalen Anforderungen, mit denen sich jeder erfolgreiche Absolvent eines Probespiels seinerzeit gegenüber 40 oder mehr KonkurrentInnen durchsetzen musste? Die Schlagtechnik des Dirigierens ist in der Tat verhältnissmäßig schnell erlernt, gemessen an einem jahre-, wenn nicht jahrzehntelangen Instrumentalstudium. Ist sie darum nicht eigentlich weniger »wert«?
Der berufliche Status des Dirigenten
Im Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Orchester
Der Chefdirigent
… wird von Outsidern zumeist unzutreffend eingeschätzt. Deshalb seien zunächst einige klärende Anmerkungen über die Struktur von Orchestern und Theatern gestattet.
An der Spitze eines Orchesters steht, für die Öffentlichkeit maximal wahrnehmbar, der sog. »Generalmusikdirektor« einer Stadt – in Österreich zumeist »Musikdirektor« oder »Chefdirigent«. In der Tat scheinen diese Prädikate zutreffender, denn der jeweiligen Person sind die Belange des Orchesters und, sofern dieses dort mitwirkt, auch jene des Musiktheaters unterstellt, wobei dort der Intendant das letzte Wort beansprucht. Die restlichen musikalischen Aktivitäten hingegen — das Wesen der musikalischen Ausbildung etwa, andere, vom Orchester unab-hängige Gruppierungen etc. — fallen nicht in den Einflussbereich des GMD.
Was die künstlerische Betreuung und Leitung des Orchesters anbelangt, ist der Orchesterchef jedoch die oberste Instanz. Es handelt sich um eine berufliche Spitzenposition mit entsprechender finanzieller Dotierung, abhängig vom Status des Orchesters und den vorliegenden finanziellen Rahmenbedingungen. Die Berufung erfolgt in der Regel durch öffentliche Ausschreibungen und/oder durch Einschaltung von Agenturen, die Entscheidung für einen bestimmten Kandidaten wird von den zuständigen Kommunalpolitikern unter Einbindung des Orchestervorstandes und ev. eines Fachgremiums getroffen. Die Berufung erfolgt in der Regel für 3–5 Jahre mit der Option auf Verlängerung des Vertrages. Soweit die Norm, von der in konkreten Fall durchaus auch abgewichen werden kann.
Für den Chefdirigenten gilt zunächst durchaus, was zuvor aus der Perspektive der Orchestermitglieder geschildert wurde: Das Gagenniveau liegt deutlich über jenem der MusikerInnen, die berufliche Perspektive zeigt sich bei ihnen in der Regel nach oben hin offen. Allerdings steht diesen Vorteilen der (entscheidende) Nachteil eines beachtlichen Karriererisikos gegenüber. Für durchaus einige ChefdirigentInnen endet mit ihrer Vertragszeit auch ihr beruflicher Aufstieg, wenn nicht überhaupt ihre beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten. Um dies möglichst zu verhindern, sind die Orchesterchefs gezwungen, parallel zu ihrem Engagement anderweitige Kontakte zu pflegen bzw. Alternativen aufzubauen, um sich Rückzugsgebiete zu schaffen, in welche sie im »Krisenfall« ausweichen können. Ordnet man der Gage eines GMDs zum Teil die Bestimmung als beruflicher »Vorsorge« zu, so fällt der Vergleich mit den Gehältern der übrigen MusikerInnen schon wesentlich »verhältnismäßiger« aus.
Die Kapellmeister
Zwischen Künstler und »Zuträger«‚
Sie sind systembedingt die eigentlichen »Draufzahler«. Sehen wir hier davon ab, dass es auch unter ihnen verschiedene hierarchische Ebenen gibt, so gilt für sie alle, dass sich in ihrem Berufsstand viele Nachteile der kollektiven Gruppen mit jenen der Chefpositionen vereinen, ohne dass sie von den entscheidenden Vorteilen derselben profitieren könnten. Anm. 2) Ein hohes Maß an Fluktuation liegt im Wesen dieser Berufsgruppe, welche ihren Status zumeist als Einstiegsphase in eine aufstrebende Künstlerkarriere betrachtet und die zahlreichen Ungereimtheiten ihrer Situation als »Investition in die Zukunft« vorübergehend in Kauf nimmt.
Als Assistent des GMD sind sie gleichermaßen individuelle Künstler und »Zuträger«. Ihr Aufgabenspektrum reicht von der musikalischen Einstudierung bis zu Verantwortlichkeiten, die jenen des GMD vergleichbar sind, ohne dass sie in der Öffentlichkeit annähernd so präsent wären. Ihre Vertragszeit ist mit einem, seltener mit zwei Jahren bemessen und kann jährlich um ein weiters Jahr verlängert werden, wobei das Stadium der Unkündbarkeit frühestens nach dem 10. Jahr des Engagements eintritt, welches in Folge eher selten erreicht wird, zumal jeder Intendanten- oder GMD-Wechsel die Kontinuität ihrer Tätigkeit grundsätzlich in Frage stellt. Die Entlohnung der Kapellmeister schließlich ist mit jener der Chefdirigenten nicht vergleichbar: Die Höhe ihrer Gage bewegt sich im unteren Mittelfeld der Orchestertarife.
Somit erweisen sich die Kapellmeister als die augenfälligsten »Opfer« im orchestralen Umfeld. Sie sind nicht nur die dankbarsten Ziele der Orchesterkritik, sie stehen dieser aufgrund ihrer »schizophrenen« Situation (wie sie im Folgenden dargelegt wird) so gut wie wehrlos gegenüber. Die einzige Chance, sich dem immer wiederkehrenden Abnützungsprozess zu entziehen, beruht darin, bereits nach kurzer Zeit zu einem (möglichst besser gestellten) Orchester zu wechseln und die »Verschleißteile« ihrer Arbeit den NachfolgerInnen zu überlassen. Nur ganz wenigen gelingt auf diesem Wege der Aufstieg in annähernd sichere berufliche Positionen. Die meisten von ihnen verkommen, wenn sie überhaupt ihre Position zu halten vermögen, zur Freude von Intendanten zu »billigen« Arbeitskräften.
Der (ein) Fehler im »System«
Motivation und Führung
Als Leiter einer musikalischen Produktion ist ein Dirigent nicht nur hauptverantwortlich für die musikalisch-inhaltliche Umsetzung, sondern gleichermaßen für die Steuerung und den Ablauf des Projektes insgesamt zuständig. In seiner Eigenschaft als Trainer/Stratege während der Probenphase ist er angehalten, die Mitarbeiter zu mobilisieren, zu fordern, das »Maximum« aus den verfügbaren Ressourcen herauszuholen und gegebenenfalls gegen (durchaus zu erwartende) Ansätze menschlicher Trägheit anzutreten.
Dieser ist am besten durch Motivationsstrategien zuvorzukommen. Darin liegt auch tatsächlich die Hauptaufgabe des Dirigenten: die Musiker aus der Reserve zu locken und sie zu verführen, das vorgegebene Projekt als das Ihre anzusehen und sich im Dienste der gemeinsamen Sache zu verausgaben. Je nach Persönlichkeit und Fähigkeit gelingt es den LeiterInnen in unterschiedlichen Maßen, ihre Mitarbeiter über kürzere oder längere Zeiträume hinweg zu mobilisieren. Aber auch die Techniken der besten Animateure und Strategen unterliegen dem Verschleiß, sodass in nahezu jeder Beziehung zwischen Orchestermusikern und ihren Leitern eine Klimaverschlechterung nach spätestens 3–5 Jahren zu erwarten ist — nur den allerwenigsten gelingt es, eine harmonische Zusammenarbeit über längere Zeiträume durchzuhalten. Daran ändert auch die Frage wenig, ob die Führungskräfte ihnen seinerzeit »vorgesetzt« oder ob sie auf Wunsch des Orchesters selbst engagiert wurden. Der Dirigent steht einfach auf der »anderen« Seite; indem es seine Aufgabe ist zu fordern, ist auch irgendwann der Punkt erreicht, an dem Widerstand nicht mehr vermeidbar ist.
Wächst dieser über die Größenordnung einer vorübergehenden Auseinandersetzung hinaus, steht der Kapellmeister seinen Kontrahenten so gut wie schutzlos gegenüber; er ist auf die Solidarität des Generalmusikdirektors angewiesen. Stehen dieser möglicherweise selbst unter Druck oder ist das betreffende persönliche Verhältnis getrübt, kann der Kapellmeister mit Unterstützung von dieser Seite nicht rechnen. Ohne sie kann er sich aber einen ernsteren Konflikt eigentlich nicht leisten, womit eigentlich nur zwei Optionen zur Disposition stehen: Entweder er nimmt die resultierende existenzielle Bedrohung in Kauf, oder Leiter versuchen, durch Anbiederung Krisen zuvorzukommen. Ein mit dem Anspruch des Berufsbildes unvereinbarer Autoritätsverlust ist die Folge.
Kurz zusammengefasst: Der Kapellmeister muss die Mitglieder des Orchesterkollektivs führen, ist ihnen aber a priori strategisch unterlegen. Als Individuum agiert er persönlich exponiert, ohne nennenswerte Interessenvertreter, sieht sich aber einer starken gewerkschaftlichen Basis der Kollektive gegenüber. Befindet er sich nicht in der glücklichen Lage beruflicher Alternativen, ist er der Gunst/Ungunst von Generalmusikdirektoren, Intendanten und Orchestervorständen bedingungslos unterworfen.
Den Kapellmeistern gegenüber geht es dem Chefdirigenten scheinbar wesentlich besser. Doch trifft dies nur zu, wenn das bestehende Engagement für ihn eine Durchgangsstation auf dem Weg nach »oben« bzw. eine von mehreren beruflichen Optionen darstellt. Denn ohne Alternativen steht er genau so unter Druck wie seine Assistenten, wenn auch vielleicht nicht so kurzfristig und mit etwas bequemeren finanziellen Reserven. Daraus erklären sich die oft relativ kurzen Wirkungszyklen von Generalmusikdirektoren und der den uneingeweihten Beobachter geradezu unseriös anmutende Umstand, dass viele Dirigenten, die es sich leisten können, gar zwei bis drei Orchestern gleichzeitig vorstehen. Eine Praxis, die in der freien Wirtschaft ihresgleichen sucht.
Äußeres und inneres Feedback
Kritik als Voraussetzung zeitgemäßen Arbeitens
Eine besondere Erschwernis in ihrer Arbeit liegt für die musikalischen Leiter in dem Umstand begründet, dass diese kaum je die Gelegenheit zu kritischen internen Feedbacks erhalten. Wenn auch die allgemein wahrnehmbaren Reaktionen auf die Arbeit von Dirigenten umso deutlicher ausfallen: Diese sagen sehr wenig über die tatsächliche Evaluierung ihrer Leistungen durch die Orchestermitglieder aus. Die lautesten Akklamationen seitens des Publikums, die spektakulärsten Kritiken in der Presse bleiben absolut wirkungslos, wenn sie sich ohne Entsprechung im Musikerkollektiv einstellen. Andererseits können negative Kommentare in der Öffentlichkeit durchaus Skepsis schüren und Ausgangspunkte für internen Anstoß bilden.
Es bleibt festzuhalten, dass die positive Wirkung guter Kritiken keinesfalls die negative Wirkung von schlechten aufwiegt und dass die einen wie die anderen die internen Vorgänge in einem Orchester so gut wie überhaupt nicht widerspiegeln (es sei denn, die Kritiker hätten Zugang zu Insider-Informationen!).
Zu den ziemlich starken Spannungen und Druckverhältnissen des musikalischen Leiters stehen die abendlichen Stressfaktoren der Aufführungen noch in zusätzlicher Wechselwirkung; deren Effekt allerdings muss nicht unbedingt belastend sein, sondern kann im Gegenteil sogar befreiend wirken. Weniger befreiend erweist sich allerdings ein oft vorliegender Kommunikationsstau zwischen den Beteiligten. Positive Wertschätzung von Seiten der Musiker ist für Kapellmeister nur selten zu erleben, und im Falle von Kritik suchen sich Klagen zumeist andere Wege als jenen der direkten Ansprache. Den Dirigenten werden so elementare Voraussetzungen zur Arbeit an sich selbst vorenthalten. Sie versuchen, den in sie gesetzten Erwartungen gerecht zu werden und dem Bild eines perfekten Orchesterleiters zu entsprechen, werden allerdings früher oder später von zumindest einem Teil der Musiker anders wahrgenommen.
Indem man Einwände häufig nicht geregelt artikuliert und so verabsäumt, den Adressaten in offener Aussprache die Chance auf Reaktion und Veränderung einzuräumen, bilden sich emotionale Blockaden, welche irgendwann zu unkontrollierten Ausbrüchen bis hin zu Misstrauens-anträgen führen können, in welchen die Betroffenen nur allzu oft überfordert sind und möglicherweise überreagieren. Es wäre ein Gebot der Fairness, derartigen Eskalationen durch einfache Vorkehrungen vorzubeugen.
Massnahmen zur Verbesserung
Harmonien – nur in der Partitur?
Die allerorten anzutreffende Konstellation von Orchestern und ihren Dirigenten repräsentiert also alles andere als einen Idealzustand. Nach der Darstellung zahreicher Konfliktpotenziale und der Analyse unterschiedlicher Spannungsfaktoren stellt sich nun die Frage nach möglichen Verbesserungen. Hierbei betrachten wir die Problematik aus zweierlei Perspektiven: Wodurch könnten auf Betriebsebene Voraussetzungen für ein möglichst spannungsfreies und entsprechend effizientes Zusammenwirken geschaffen werden, die auch tatsächlich umsetzbar sind, und wie können einzelne Personen durch gezieltes Handeln einen Beitrag zur Harmonisierung der Situation leisten?
Es ist, wie es ist! Ist es das?
Vorab muss man sich eingestehen: Die entscheidenden Konfliktursachen insgesamt und auf allen Ebenen zu beseitigen ist im Rahmen eines bestehenden Orchesterbetriebes nicht möglich und wahrscheinlich nicht einmal im Rahmen der Neugründung eines Ensembles denkbar. Zu festgefahren sind viele der Strukturen, zu sehr ist die berufliche Realität in ein überregionales Gefüge eingebunden, von dem man sich einfach abkoppeln könnte, zu komplex ist der Mechanismus der Gruppe mit ihren Vertretern aus unterschiedlichsten sozialen (und oft auch ethnischen) Schichten und Generationen, deren Zusammenwirken durch entsprechende, durchaus bewährte Vertragsvereinbarungen gesichert ist. Darüber hinaus ist festzustellen: Auch wenn der zwischenmenschliche Preis manchmal hoch erscheint — die Endergebnisse der gemeinsamen Arbeit (also: Konzertdarbietungen und Opernaufführungen) sind in Summe so gut wie immer überzeugend und kommen überdies auf sehr ökonomische Weise zustande: Eine Opernaufführung mit zwei unterschiedlichen Personalbesetzungen »steht« in der Regel nach sechs bis acht Orchesterproben, ein Konzert manchmal sogar schon nach drei: Was will man mehr?
Aus einer differenzierten Evaluierung des Systems unter Berücksichtigung aller direkten wie indirekten Auswirkungen ergäbe sich dennoch ein Handlungsbedarf. Vor allem dann, wenn man nicht nur die unmittelbaren Arbeitsresultate berücksichtigt, deren Bewertung im übrigen, wie eingangs erläutert, stets subjektiv bleiben wird, sondern wenn man Faktoren wie Arbeitsklima, Mitarbeiterzufriedenheit, berufliche Stabilität in Verbindung mit Lebensplanung etc. als nicht minder entscheidende Kriterien betrachtet.
Die folgenden dargelegten und aus den vorangehenden Überlegungen gezogenen Schlussfolgerungen könnten Ausgangspunkte eines Veränderungspozesses bilden.
Ein erster Ansatz: Die Struktur der Organisation
Das Team – ein geeignetes Modell?
Industrie- und Wirtschaftsunternehmen werden zunehmend von Teams gesteuert. Im Theater- und Orchesterwesen wird das Wirken der Musiker nach wie vor maßgeblich von Einzelpersonen bestimmt. Warum?
Einer der Gründe liegt in der Beschaffenheit von Kunst und der Charakteristik des europäischen Kunstbegriffs als Ausdruck individueller und persönlicher Anschauungen. Das bestimmt Rollenbilder und Erwartungen der Zielgruppe — des Publikums. Und in Verbindung mit konkreten praktischen Erwägungen heißt das: (Von Spezialensembles abgesehen — ) Wenn ein Kollektiv über die Stilistik einer Barockinterpretation etwa oder die Tempowahl eines Stückes (und all die anderen Parameter) befinden soll, setzt das nicht nur die Auseinandersetzung aller Beteiligten mit diesen Fragen voraus (dies erscheint ja in jedem Fall erstrebenswert!), sondern mündet zumeist auch im langwierigen Prozess einer einheitlichen Meinungsbildung, was gegenüber herrschenden Verhältnissen ein Vielfaches der Zeit in Anspruch nimmt und in der Regel zu keinem wirklich profilierten Ergebnis führt, daher auch von kaum jemandem gewünscht wird. Misslingt ein derartiges Unterfangen gar, gibt es zwar keinen »Sündenbock« (ein positiver Effekt!); allerdings auch keine eindeutig Verantwortlichkeiten und damit kaum Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Situation.
Was die Entwicklung musikalischer Interpretationen betrifft, macht die Arbeitsteilung in Einzelpersonen mit leitender und Gruppen mit ausführender Funktion also durchaus Sinn. Das darf freilich nicht dazu führen, dass sich einzelne Musiker durch getroffene Entscheidungen »überfahren« fühlen. Der Schlüssel dazu liegt in der Hand des Dirigenten: Er muss bestrebt sein, die Partner von seiner Sicht so zu überzeugen, dass diese sein Konzept unversehens als das ihre betrachten. Das wird zwar selten zur Gänze gelingen, und darum muss er im Gegenzug grundsätzlich bereit sein, Impulse seiner Mitwirkenden aufzufangen und zu bündeln. Dennoch sollte der Grundsatz gelten, dass die Vorgaben des musikalischen Leiters im Rahmen von Orchesterproben prinzipiell nicht in Frage zu stellen sind. Dies wird auch generell anerkannt. Aus Gründen der Arbeitsökonomie ebenso wie der Gruppendynamik wegen ist dem Bedürfnis der Musiker nach individueller Mitwirkung an inhaltlichen Konzepten keinesfalls durch breite Diskussionen im Kollektiv, umso mehr allerdings durch andere Maßnahmen Rechnung zu tragen, von denen später die Rede sein wird. Im Allgemeinen gilt der Grundsatz: je höher die Qualität eines Ensembles, umso eher herrscht Einvernehmen über diese Belange.
Man kann dennoch davon ausgehen, dass ein klares Bekenntnis der meisten Musiker zu dieser ihrer Rolle im Verbund erst entwickelt werden müsste. Hier ließe sich sicher einiges zum Positiven verändern: indem man etwa durch Gespräche Bewusstsein erzeugt und Transparenz schafft. Professionelle Hilfe von »außen«, etwa durch unabhängige UnternehmensberaterInnen, könnte hierbei einen sinnvollen Einstieg bilden. Sie würden mit betroffenen Personen und Gruppen Kontakt aufnehmen und in Absprache mit »Insidern« prüfen, welche Charakteristika im Orchesterbetrieb erhaltenswert erscheinen und welche bewährte Mechanismen aus anderen Organisationen sich unter Umständen auf das Spezialmodell »Orchester« übertragen ließen.
Vielleicht liegt in der Kommunikation überhaupt der Schlüssel zu einem besseren Funktionieren der Dirigenten-Orchester-Konstellation. In dieser Hinsicht ist darüber nachzudenken, ob in der etablierten Institution des »Betriebsrates« (in Deutschland: »Orchestervorstandes«) tatsächlich der adäquateste Kontaktpunkt im Verhältnis Dirigent-Orchester zu erblicken ist.
Ein »Fachgruppen-Gremium«
Wer vertritt die musikalischen Interessen?
Während nämlich durch den Betriebsrat die materiellen und arbeitsrechtlichen Interessen der MitarbeiterInnen effizient vertreten werden, existiert für inhaltliche Belange gewöhnlich keine entsprechende Schnittstelle zwischen Dirigent und Musikern. So nimmt es nicht wunder, dass sich Mitglieder des Orchesters immer wieder ausgeschlossen fühlen, wenn neben interpretatorischen Fragen auch solche der Programmgestaltung, der Besetzung etc. vom Orchesterleiter allein entschieden werden. Hier könnte man Abhilfe schaffen: durch die Berufung von — gewählten! — Vertretern aller relevanten Instrumentalgruppen, welche in die Vorarbeit zu den Projekten eingebunden wären und im Vorfeld auch an relevanten Entscheidungen Anteil nähmen. Wenn man bei der Zusammensetzung darauf Bedacht nimmt, könnte daraus im Idealfall ein Führungsteam im Sinne bekannter Unternehmensstrategien erwachsen: Eine Gruppe von drei bis vier Personen, welche auch unterschiedliche Team-Typen verkörpern, wäre an den Entscheidungen des GMD beteiligt, hätte diese allerdings auch weitgehend mitzutragen. Die letztliche Verantwortung freilich müsste beim Leiter verbleiben.
Der daraus erwachsende Nutzen wäre ein mehrfacher: Orchestermusiker hätten die Möglichkeit, sich auf diesem Wege auch in inhaltlicher Hinsicht in das Gesamtunternehmen »Orchester« einzubringen und mitzugestalten. Dem teilweise herrschenden Gefühl, »der Zug fahre mit einem davon«, wäre entgegengewirkt und stattdessen ein Beitrag zu höherer Identifikation der Musikermit ihrer Arbeit geleistet. Dem Dirigenten hingegen würde sich eine Möglichkeit zu einem inneren Feedback eröffnen. Als Vertreter ihrer Instrumentengruppen und Vertraute des »Chefs« wären die Gruppenvertreter gleichermaßen Berater wie Ansprechpartner (und im Krisenfall »Klagemauer«) und könnten auftretende Spannungen oft schon im Vorfeld abfangen, indem sie Wünsche transportieren, unter ihren Kollegen um Verständnis (für notwendige Maßnahmen o.ä.) werben oder aber Kritik konstruktiv an die Führung herantragen. Der Direktor müsste sich bezüglich seiner vormals alleinigen Entscheidungsbefugnis zwar etwas zurücknehmen; in der Praxis dürfte dies jedoch aufgrund der Reputation des Amtes und dem natürlichen Streben der Beteiligten nach guter Zusammenarbeit keine schwerwiegende Rolle spielen. Angesichts des Gewinns einer breiten Unterstützung der eigenen Arbeit durch die Basis wäre der »Machtverlust« des Dirigenten mehr als aufgewogen.
Klare Rollenprofile
Von einem Druck ausübenden Amtsverständnis sollte ohnehin keine Rede sein — und in künstlerischen Angelegenheiten noch weniger als anderswo. Die Anwendung von »Macht« erübrigt sich dort zunehmend, wo Rollen und Funktionen klar definiert und damit überprüfbar werden. An einem zeitgemäßen, modernen Rollenbild und Persönlichkeitsprofil eines Generalmusikdirektors bzw. von Kapellmeistern sollten die Musiker selbst gemeinsam mit anderen Hauptverantwortlichen (Theaterdirektion, KommunalpolitikerInnen, …) mitarbeiten. Daraus würde Betroffenheit, Mitverantwortung und letztlich die Verpflichtung zu eigenem konsequenten Handeln entstehen. Vielen Willkürlichkeiten, wie sie allerorts zu finden sind, könnte so vorgebeugt werden. Indem man etwa Orchestermitglieder, welche zunächst für das Engagement eines Dirigenten eintreten und sich nach einigen Jahren wieder gegen sein Wirken aussprechen, in die Pflicht nimmt, indem man sie zu einer nachhaltigen Begründung ihres Gesinnungswechsels auffordert!
»Wir nehmen nicht mehr, als wir geben«
Bei der Konkretisierung des Anforderungsprofils einer Spitzenposition Anm. 3) ist in besonderer Weise auf die Realisierbarkeit von künstlerischen Ansprüchen zu achten. Nur allzu oft wird die Suche nach einem Chefdirigenten der lokalen Szene mit der ebenso illusorischen wie vagen Sehnsucht nach einem »Muti« oder »Maazel« verknüpft; die daraus erwachsenden Ansprüche erweisen sich bald als unerfüllbar, und der Unmut darüber wird auf dem Rücken der lokal verfügbaren Dirigenten ausgetragen, welche dem Vergleich mit »echten Könnern«, die man sich nicht leisten kann, nicht standhalten. Damit ist die Saat für Misserfolg und Frustration gelegt.
Das Wunschbild eines GMD ebenso wie jenes der Kapellmeister muss mit dem künstlerischen Status des Orchesters und seiner Mitglieder in Einklang stehen. Von entscheidender Bedeutung ist daher, den persönlichen Rang und den Stellenwert der eigenen Leistungen von Anfang an richtig einzuschätzen. Nur so, auf der Grundlage von Fairness nämlich, kann ein harmonisches Gesamtklima auf Dauer entstehen. Ein Dirigent, der nicht mit überzogenen Erwartungen konfrontiert ist, wird jene, die in ihn gesetzt werden, tatsächlich eher erfüllen können!
Berücksichtigen muss man in diesem Zusammenhang natürlich auch die Gagenhöhen. Aufgrund der großen Exponiertheit der Position eines GMD und aufgrund bestimmter Gegebenheiten am Markt wird das Gehaltsniveau von Orchesterleitern immer signifikant über jenem von Musikern liegen. Davon war bereits die Rede.
Andererseits ist allerdings festzuhalten, dass die Erfüllung überzogener Honorarvorstellungen strategisch geschickter Wunschkandidaten sich längerfristig auf das gesamte Unternehmen eher kontraproduktiv auswirkt, jedenfalls insofern, als ein allzu großer Abstand zum Gehaltsniveau der Orchestermusiker automatisch Neid und grundsätzliches Misstrauen nach sich zieht. Fällt die Wahl auf den »teuersten« Kandidaten, weil er der beste scheint, ist das nicht a priori auch längerfristig die »richtige« Entscheidung.
Die Position der Kapellmeister unterscheidet sich in finanziellen Belangen erheblich von jener ihrer Vorgesetzten. Als Assistenten der GMD sind sie in der Öffentlichkeit gewöhnlich nicht annähernd so exponiert; ihnen gebührten somit vertragliche Rahmenbedingungen, welche zumindest nicht schlechter sind als jene der Mitglieder von Kollektiven, mit denen sie zusammenarbeiten: eine (vielleicht nicht absolute, aber doch weitgehend praktizierte) Arbeitsplatzsicherheit nach einem Probejahr sowie ein Gehaltsniveau, das mit jenem solistisch exponierter Instrumentalisten vergleichbar wäre (die Spannweite könnte von Bläsern bis zur Position des Konzertmeisters reichen). All dies wäre verhältnismäßig relativ leicht umzusetzen: ohne Eingriffe in bestehende Verträge, bloß mit dem Einverständnis der Mitarbeiter, welches die Schaffung eines entsprechenden Bewusstseins freilich voraussetzt.
Abwechslung ja, aber nicht auf Kosten anderer!
Abnützung als Tor zur Abwechslung?
Eine derartige Personalstrategie hätte gegenüber der herrschenden Praxis allerdings nicht nur Vorteile, sondern auch Verluste zur Folge, die kompensiert werden müssten. Die Vorstellung, über längere Zeiträume hinweg »unter« denselben Dirigenten spielen zu müssen, stellt für viele Musiker ein Schreckensszenario dar, insbesondere dann, wenn die Kompetenz ihrer Vorgesetzten, sei es in fachlicher oder charakterlicher Hinsicht, geringgeschätzt wird. In der Beziehung Dirigent-Orchester eine Abnützung zu leugnen wäre unrealistisch, und das Bedürfnis der Instrumentalisten nach Abwechslung ist ein Faktum und durchaus auch berechtigt. Ihm kann auf verschiedenen anderen Wegen entsprochen werden.
Gäste
Zunächst durch das Engagement von Gastdirigenten, welche für Perspektivenwechsel, Vergleich und manchmal auch »frischen Wind« sorgen. Die Verpflichtung von auswärtigen musikalischen Leitern hat im Konzertbetrieb Tradition, in Alltag kleinerer Theater allerdings weniger, in erster Linie aus Kostengründen, die sich Intendanten an die Vorgabe halten, die vorhandenen Ressourcen maximal »auszuloten«. Jeder Kapellmeister im Engagement strebt ja danach, zu dirigieren, sein diesbezügliches Wirken ist ja auch in seiner Gage enthalten. Wozu sollte man da noch Gäste engagieren?
Von einem solchen Denken allein sollten sich weder Intendanten noch Generalmusikdirektoren leiten lassen und vielmehr die positiven Auswirkungen musikalischer »Tapetenwechsel« in ihre Besetzungspolitik miteinbeziehen.
»Fremdgehen«
Im Gegenzug sind auch »Ausbrüche« der Orchestermusiker aus ihrem Alltag zu fördern. Gastspiele in fremden Ensembles sind grundsätzlich zu begrüßen, wie überhaupt alle Anlässe zur musikalischen Selbstverwirklichung durch Karenzmöglichkeiten, Teilverpflichtungen o.ä. unterstützt werden müssten. Auch vor (kleinen!) Mehrkosten, die in solchen Zusammenhängen entstünden, sollte eine Direktion nicht zurückschrecken: Diese kämen in Form von Engagement, Zufriedenheit und Idealismus (auch anderer Musiker — Beispielwirkung!) in vielfacher Form zurück.
Die Gefahr eines Missbrauchs derartiger »Privilegien« dürfte aufgrund der im Allgemeinen sehr ausgeprägten Selbstkontrolle von KollegInnen de facto zu vernachlässigen sein, vor allem, wenn ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zwischen den Orchestervertretern und Chefdirigent herrscht.
Kammermusik
Die »therapeutische« Aufgabe von Kammermusik
Eine besondere Bedeutung in jedem Orchester fällt Kammermusikprojekten zu. Im Bemühen um Abwechslung und auf der Suche nach Gegenmitteln zum fast zwangsläufig einsetzenden Energie- und Motivationsverschleiß im Orchesteralltag kommt ihnen eine Schlüsselfunktion zu. Sie sind durch Dirigenten nicht nur zu ermöglichen (oder gar zu nur dulden), sondern aktiv durch eine entsprechende Programmpolitik zu fordern und zu fördern.
Für die Mitwirkenden repräsentieren Kammermusikprojekte nicht nur ein Forum musikalischer Selbstverwirklichung, auf welchem sie persönlichen Erfolg und Anerkennung ernten können, sondern sie stellen gleichermaßen eine »lebenswichtige« Herausforderung und Chance dar, sich ohne »Anweisungen« von außen oder sonstige Betriebszwänge musikalisch auf individuelle Weise auszudrücken. So, wie es seinerzeit von jedem Orchestermitglied in Rahmen seiner Ausbildung gefordert wurde!
Solisten vor dem Kollektiv
Eine besondere Form für Musiker, ihr Können repräsentativ zu exponieren, eröffnet sich durch Aufführungen von Konzerten für Soloinstrument(e) in Begleitung des Orchesters, wie sie in standardisierten Konzertprogrammen ohnedies laufend zu finden sind. In der gängigen Praxis bedient man sich bei der Suche nach (mehr oder weniger) reputierten Solisten hierbei in der Regel etablierter Agenturen und kommt so ins »Geschäft« (und Gegengeschäft?!). Wären aber diese Veranstaltungen nicht der ultimative Anlass für (besonders ehrgeizige) Orchestermusiker, ihr Können zu exponieren und ihre künstlerischen Kapazitäten unter Beweis zu stellen? Dies geschieht zwar ab und zu, in Summe aber viel zu selten.
Im Glauben, musikalische »Zugpferde« anlocken zu müssen, konfrontieren GMDs ihre Musiker regelmäßig mit Vertretern ihres Standes, die »es geschafft haben«, und machen sich damit, wenn auch wohl nicht willentlich, für den Verlust von Selbstwertgefühlen ihrer Mitarbeiter mitverantwortlich. Die befruchtende Wirkung von Konzerten mit Berufssolisten oder gar Stars entfaltet sich um ein Vielfaches in eigens dafür bestimmten Konzerten und unabhängig vom Wirken lokaler MusikerInnen.
Solisten-Orchesterkonzerte sollten im Prinzip ansässigen Künstler vorbehalten bleiben und ins Innere einer Stadt oder einer Region wirken. Freilich ist nicht jeder professionelle Musiker, ob im Orchester oder nicht, berufen zur solistischen Darbietung. Aber wie anspornend könnte es doch sein, durch eine Art internen »Wettbewerb« oder durch andere geeignete Auswahlverfahren einen Teil der Konzerte jenen heimischen Künstlern zugänglich zu machen, welche sich dafür interessieren. Und damit auch den Musikern aus den eigenen Reihen eine Chance auf Entfaltung ihres Könnens und ihrer Persönlichkeit zu bieten.
Zuletzt: Eingriffe ins System wider den »Trott«?
In Kreisbewegungen in die Zukunft?
Die Übertragung exponierter Verantwortlichkeiten im Großen, wie es die Interpretation eines Solstenparts in einem Konzert darstellt, könnte auch in unscheinbarerer Form eine Entsprechung finden: indem man die fixe Rollenverteilung im Orchester zur Diskussion stellt und bei mehrfach vertretenen Instrumenten anstehende Aufgaben und Verantwortlichkeiten auch abseits der vorgegebenen Hierarchie zuordnet. Das heißt konkret: dass beispielsweise auch ein Streicher der hinteren Pulte gelegentlich vorne sitzen sollte.
Wenn die im folgenden angedachte Vision einer turnusartigen Rotation innerhalb von Instrumentengruppen des Orchesters entgegen gängigen Praktiken darauf abzielt, möglichst allen Orchestermitgliedern von Zeit kleine solistische Aufgaben zu übertragen, so ist offensichtlich, dass es sich dabei im Rahmen eines bestehenden Betriebes um die am schwersten umsetzbaren Veränderungen handelt, die bisher diskutiert wurden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es um gar nicht besonders spektakuläre Herausforderungen ginge. Aber im Unterschied zu allen bisher angesprochenen Impulsen wären hierbei bestehende Dienstverhältnisse und Verantwortlichkeiten betroffen. Wenn es darum geht, dass in einem Orchester jeder auf seinem, ihm bestimmten Stuhl Platz nimmt, um das nur ihm zugedachte Notenblatt in Töne zu verwandeln, so hat dies nicht nur mit Verträgen, tariflichen Einstufungen und Arbeitspensen, sondern ebenso mit Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Leistungsvermögen jedes einzelnen Menschen zu tun. Während sich manche Musiker an »hinteren« Pulten über einen Wechsel in der Gruppe freuen würden, haben sich andere Mitglieder des Orchesters an ihre Perspektive gewöhnt und empfänden die »Beförderung« von einem Begleit- zu einem Solopart als unrechtmäßige Belastung, wenn nicht sogar als Bloßstellung.
Unterschiede bezüglich der Leistungsfähigkeit gibt es in jedem Orchester, und die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür sind für das Funktionieren des Betriebes auch unerlässlich. Nicht (mehr) so leistungsfähigen Mitarbeitern oder solchen, die nach Jahren der Bewährung Stressfaktoren abbauen möchten, darf man (in gewissem Ausmaß) Rückzugsgebiete in der Tat nicht verwehren. Somit haben diese grundsätzlich ihre Berechtigung. Sind feste Nischen und Spezialaufgaben andererseits institutionalisiert (etwa nach dem Motto: »Während die 1. Flötistin schöne Melodiebögen erzeugt, ist der 2. ein >optimal< auf der Altflöte«), führt dies auf Dauer zu künstlerischer Stagnation und letztlich zur befürchteten Verkrustung des Systems. Was kann ein Orchesterleiter tun, der hier etwas bewegen will?
Die Vision einer Orchesterstruktur ohne feste Positionen, in der Annahme eines durch alle Mitglieder hindurch praktizierten Rotationsprinzips, lässt sich in der Tat nur im Rahmen der Neugründung eines Ensembles verwirklichen. Nur unter solchen Voraussetzungen ist es vorstellbar, bei jedem Konzert (oder sogar bei jedem Werk!) die Musiker Plätze und damit Rollen tauschen zu lassen und damit die Rahmenbedingungen für maximale Kollegialität und persönlichen Einsatz eines jeden einzelnen zu schaffen. Eine derartige Praxis setzt entsprechende Verträge voraus und müsste bereits im Stadium von Probespielen berücksichtigt werden. Beispiele für derartige Organisationsformen finden sich allerdings nahezu ausschließlich außerhalb von städtischen Symphonieorchestern, zumeist im näheren Umfeld oder innerhalb der sog. »freien« Szene.
Das heißt aber nicht, dass in institutionalisierten Orchestern keine diesbezüglichen Impulse gesetzt werden können. Mit großem Einfühlungsvermögen und in Zusammenarbeit mit dem Beratergremium kann ein Chefdirigent, wenn er diesbezügliche Ambitionen ortet, in Teilbereichen eine gewisse Beweglichkeit bewirken und Musiker zum Perspektivenwechsel animieren. Zunächst vielleicht in Repertoirevorstellungen von Opern, wo sich dies in bestimmtem Umfang ja oft schon von selbst ergibt. Vielleicht ließe sich der Konzertmeister vom Charme einer Operette verführen, auch wenn seine dortige Mitwirkung bei seinem Engagement ausgeschlossen wurde?
Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, etwas den Musikern aufbürden zu wollen — sie würden sich sofort auf ihre vertraglichen Verpflichtungen zurückziehen, und der Leiter hätte »verloren«. Nur, wenn es ihm gelingt, in den Mitarbeitern selbst den Wunsch nach Veränderung zu wecken, wird er die Früchte ihrer Abwechslung ernten können.
Einheit oder Unterschied?
Individualität und Autorität
Zum Abschluss noch ein kühner, weil der orchestralen Realität völlig widersprechender Gedanke:
In jedem Orchester ist man auf der Suche nach einheitlicher Spielweise und Klang. So glaubt man, darauf beim Engagement von Musikern in besonderer Weise Bedacht nehmen zu müssen, indem man sich für Kandidaten entscheidet, welche nicht nur gut ihr Instrument beherrschen, sondern sich darüber hinaus auch möglichst gut einzufügen verstehen. Alle drei Flötisten müssen ja, was Klangcharakteristik und vibrato betrifft, aufeinander abgestimmt sein.
Aus der Erkenntnis, dass die effizientesten Teams in der Regel nicht aus gleichartigen Mitgliedern zusammengesetzt sind, erhebt sich allerdings die Frage, ob in einem Orchester, das sich nicht als ausgesprochenes Spezialensemble versteht (»Wiener Klang« o.ä.), dieses Denken zu den harmonischesten Ergebnissen führt. Wenn auch extreme Abweichungen in Spielweise tatsächlich unbrauchbar sein dürften — wäre ein bewusstes Bekenntnis zu Individualität und klanglicher »Buntheit« bei Berufungsverfahren nicht auch ein echtes Argument? Würde man mit der heterogenen Zusammensetzung entsprechender Instrumentalgruppen nicht auch jeweilige Spezialisten für unterschiedliche Literatur finden? Einem fähigen Orchesterleiter müsste doch zuzutrauen sein, aus den verschiedenartigen Beiträgen der Musiker (sofern sie nicht allzuweit voneinander abweichen) ein einheitliches Ganzes zu formen.
Wollte eine musikalische Führungspersönlichkeit derartige Ideen in einem Probespielverfahren einbringen, müsste sie bei den verantwortlichen Mitarbeitern gezielt im Vorfeld dafür Verständnis schaffen, indem sie ihre Standpunkte erläutert und zu überzeugen versucht. Der bloße Wille zur Veränderung eines (zumeist vorübergehenden!) Autoritätsträgers wird, zumal es sich um langfristige Entscheidungen handelt, hier nicht viel auszurichten haben.
Zum allgemeinen Führungsstil
Die Macht der Gewohnheit
In dieser Situation gilt im besonderen, was im allgemeinen den Führungsstil eines Orchesterleiters prägen sollte: Insbesondere dort, wo Gewohnheiten, Privilegien, Bewährtes in Frage gestellt wird, ist mit Widerstand zu rechnen. Ein solcher ist möglichst vorherzusehen und im Vorfeld eines sich anbahnenden Konfliktes abzuwenden. Durch persönliche Ansprache mit Betroffenen lassen sich viele Missverständnisse im Vorfeld ausräumen und andererseits Verständnis für eigene Standpunkte aufbauen.
Zu keinem Zeitpunkt seines Wirkens sollte ein Generalmusikdirektor über die Musiker zu »bestimmen« versuchen. Es muss immer berücksichtigt werden, dass es sich bei ihnen um eine beträchtliche Zahl von hochspezialisierten Individualkräften handelt, welche einen angemessenen Respekt beanspruchen, obwohl sie im Kollektiv agieren. Diesen Respekt auszustrahlen und gleichzeitig eine Richtung vorzugeben ist Aufgabe und Herausforderung des Dirigenten.
Um die Balance zu finden zwischen selbstsicherer Bestimmtheit, ohne dass diese als Sturheit verstanden wird, und flexibler Anpassungsfähigkeit an andere als die eigenen Bedürfnisse, ohne dass dies wiederum als nachgiebige Inkonsequenz gilt — dafür gibt es allerdings kein Patentrezept.
Anmerkungen:
Anm. 1) Über aus heutiger Sicht kaum zu glaubende derartige Vorfälle gibt es nicht nur unzählige Anekdoten, sondern tatsächlich Tondokumente, welche die außerordentlichen Autoritätspraktiken der genannten Dirigenten belegen. Sie stellen wichtige Zeugnisse für Ausnahmeerscheinungen dar und sind nur durch besondere Konstellationen erklärbar: zum einen die singulären künstlerischen Persönlichkeiten, zum anderen das an autoritäre Stile »gewohnte« gesellschaftliche Klima der Nachkriegszeit mit entsprechend höherer »Schmerzschwelle«, sowie im Falle Toscaninis entsprechend attraktiveTonträgerprojekte in Zusammenhang mit der für ihn ins Leben gerufenen »Marke« des NBC Symphony Orchestra.
Anm. 2) Ähnliches ist auch von den anderen Individualkünstlern ohne wirkungsvolle gewerkschaftliche InteressensvertreterInnen an Theatern zu sagen: Sängern, Schauspielern etc.
Anm. 3) Hier ist nicht ein bestimmter Ausschreibungstext, sondern das Rollenverständnis der Mitarbeiter gemeint!
(Un-)predictability as a key factor of compositional thinking
A central aspect of the thinking of composers
A cura di Letizia Michielon, Milano-Udine 2011.
The consideration of musical expectations and their fulfillment or violation represents – in my opinion – a central aspect of the thinking of composers. Of course this is not true for all types of music, but in the context of Western traditions of the past 3-4 centuries the development of individuality, personality and – globally speaking – of a “personal language” has proved to be a crucial criterion for compositional results.
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When we look up the definitions about the term „composition“ in various relevant encyclopedias (including Wikipedia) we may notice that there is consensus about the claim for „originality“ in this context. „Originality“ means that a composition differs to a certain extent from established standards (or goes beyond commonplaces) by unexpected progressions. This however implies a paradox: We expect that „unexpected“ events may happen….
Doubtless there exist many types of music that are neither „original“ nor of any „personal“ style. And yet they are compositions! Almost all medieval works follow the idea of pure handicraft, i.e. of a most perfect elaboration of established standards. And in many cultures of non-European regions the search for individuality and uniqueness of artistic outputs is of no authority at all. As a consequence musical tastes and norms in past times (or areas) survived during relatively long periods compared to the accelerated sequence of changes in our culture since the beginning of modern age. For a contemporary composer the demand for uniqueness of his statements is an enormous challenge:
Stockhausen: „… seit ich mich zum ersten Mal entschieden habe, […] etwas zu komponieren, das alles ausschloß, was ich kannte, und das auch für mich selbst neu war. […] Schallvorgänge […], die man noch nie gehört hat (sollte es jemand gehört haben, so sagen Sie es mir gleich, dann werfe ich das Stück in den Papierkorb). Das ist mir wichtig: das Neue.“ [1]
The idea of innovation is of particular importance in our part of the world since the period of Enlightenment, and therefore it is a genuine European category. Clearly, in medieval and Renaissance music a different attitude is pursued and established as artistic criteria: J. Tinctoris, one of the earliest European composers and author of the first theory of counterpoint, assigned the idea of permanent change and unpredictability of musical progressions to his concept of varietas, a term that was mainly used by contemporary rhetoricians. „Varietas“ means the renunciation of qualities that make music recognizable, such as contrasts, rhythmic or dynamic profiles, repetitions, sequences etc. A generally static overall impression was aspired, colored by a diversity of details. Music should flow (more or less) functioning like a background and without claiming too much attention – an aspect that turned out to be of particular significance during the council of Trento and the respective debates on the role of music in liturgy.
This music functions in a totally different way than music from the classical or romantic period. Composers from these ages focused on the chance to create contrasts as a source of discussion and development. Their works are characterized rather by the opposite to the principle of varietas: Schoenberg marked some end of this development by his search for formal concentration, which became first evident in his analysis’ of works by Beethoven and Brahms: He pointed out a particular quality of these composers and their works which he himself would develop further in his 12tone-technique: to characterize it he established the term „Fasslichkeit“ – an antonym of „varietas“ and a word hard to translate: ~ perceptibility. The idea was to compensate for the loss of tonality by a maximum of intensity, concentration and the creation of some kind of „gravitation“ by the use of rhetoric elements of maximal comprehensiveness. In this context it seems paradoxical/contradictory that he abandoned the most evident technique to create „Fasslichkeit“: the means of repetition.
This aversion to literal repetition is a constant throughout the compositional thinking since the beginning of the 20th century; it originates in the inflation of repetitions in the so-called „light“ music since the mid-19th century (or even before) and the resulting wish of composers to distance themselves accordingly. Yet the means of repetition is a crucial compositional technique to address the listener, to attract his attention, to evoke expectations and to confirm him by fulfilling them. Considering this it is interesting what A. Schoenberg expressed with reference to the music by J. Strauß, a composer which he profoundly admired and to whom – as we know – he dedicated some arrangements of significant artistic importance. Schoenberg identified the appeal of Strauß’ music (and of popular music in general) by the following elements:
- Everything that happens is concentrated in the melody – […] the harmony has a very simple, familiar scheme, which is, moreover, much repeated.
- The invented figures are repeated very often, and with only insignificant variations.
- Only after these repetitions have guaranteed that comprehensibility is possible do new, more ‚far-fetched‘ figures make their appearance.
- If they make their appearance earlier, then there is much subsequent repetition.
- Moreover, each section is repeated in toto. [2]
We notice that in these considerations repetition for Schoenberg is a crucial phenomenon – within 5 attributes of popular music the word itself is mentioned 4 times, and compared to the original version of the waltz Schoenberg infiltrated quite a few varying ornaments where Strauß merely repeated a passage. The tendency to replace repetition by variation is of course very old – in fact it goes back to the Baroque period and the practice to introduce ornaments into da-capo-passages. It represents the wish to reduce predictability where musical sequences are too evident. I.e. that a certain balance between predictability and unpredictability – between confirmation and surprise – was the goal of musical invention, of the communication/the interaction between composers and their listeners. This balance was seriously disturbed by the disengagement of popular music in the 19th century and its usurpation of striking effects or – in other words – its inflation of elements of confirmation. Whereas popular music up to the present presupposes a high level of predictability, „art“ throughout the last 200 years became more and more incalculable, enigmatic, inimitable. It is remarkable that for Schoenberg – after his reluctance to use repetitions in his early period – the developing of dodecaphony opened the door to the rediscovery of repetitions as a compositional means (e.g. in his piano suite op. 25). The new technique guaranteed that the degree of predictability was now low enough to reintroduce the option of a literal re-playing. On the other hand the use of „classical“ periods of 8 measures should help to pool musical forces drifting apart due to the lack of tonality.
This sounds logical – and yet we may identify a source of contradiction. The idea of a democratic use of all pitches in the twelve-tone-technique is correlated with increasing unpredictability – despite the fact that the original idea of this principle was the creation of a row as a pattern that could be recognized. Indeed the repetition of passages that are more or less amorphous and unrecognizable is inconsistent per se since it cannot have any aesthetic impact on the listener. In general composers of Western art-music throughout the 20th century developed a growing reluctance to use literal repetitions and recognizable sequences, and in particular they moved away from preformed elements, such as symmetrical periods, regular groups of measures etc. If in relevant music of the 20th century these elements occur they obtain a meaning different from historical contexts:
- v. Webern’s symphony op. 21 shows very impressively the revaluation of the technique of repetition: contrary to its former affirmative effect it arises here as an outcome of static thinking, of enigmatic circulation around a center that remains unveiled. Not only are the two sections of this movement repeated, the „development section“ itself is strictly symmetrical thus evoking the opposite of what its name could suggest: the character of some kind of „perpetuum mobile“.
Webern’s music – due to its logical structures as well as to its crystalline sound – has very often been compared to a starry sky – thus evoking the connotation of galactic spaces, despite its density and stringency. Another contemporary of Schoenberg persecuted similar ideas of some kind of „astronomic music“ – an Austrian composer who is very little known abroad and whose works are far less relevant than his ideas, by which he can be regarded as a very typical and characteristic representative of the first half of the 20th century: J. M. Hauer.
Hauer invented his own concept of a twelve-tone-technique independently of Schoenberg and – this is particularly important – with totally different results. Contrary to his great contemporary „competitor“ he approached the vision of „musical democracy“ by pursuing the idea of an alleviation of tension as complete as imaginable. Of course this concept presupposed an attitude completely free of expectations and resulted in a very specific output of „objective“ sound.
In this sound Hauer – by an ability which he called „intuition“ – believed to have found the „language of the universe“ and with it the „revelation of the world order“; as the interpreter of „Melos“ he felt himself appointed to make this order accessible to all listeners. Very strangely he postulated that his Zwölftonspiele represented the eternal, unchangeable absolute music of cosmic dimension: „Die absolute, die kosmische Musik gestattet den tiefsten Einblick in das Weltgeschehen. Die Töne mit ihren Obertönen sind Sonnen mit ihren Planeten. Die Sonnensysteme ‚temperieren‘ einander; ihre Spannungen ordnen sich mit zwingender Notwendigkeit zur Sphärenharmonie. Zwölftonspiele beinhalten Funktionen der Milchstraßensysteme [… und sind] auch gleichzeitig ein Orakel’spiel‘, wie es in dem uralten Weisheitsbuch der Chinesen, im Iging, überliefert ist.“. (Walter Szmolyan, J.M.Hauer, Wien 1965, S.5.)[3]
A very peculiar, even bizarre point of view, maybe a little crazy, but still fascinating in some ways; even if Hauer’s reputation was not international enough to identify a direct impact on minimal music, he may well be called a person who anticipated future musical developments. After all John Cage highly appreciated Hauer’s concept (which was quite similar to his own!). Cage’s ultimate conclusion of his concept of music without any intention was silence – silence as a state of suspension. There is no difference between a quiet silence and a silence full of noise. What they both have in common is the absence of intention. And this is the state I am interested in.“ [4]
Cage may be regarded as the perhaps most radical „anti-composer“: because he not only abandoned „intention“, he deliberately excluded it. And opened the field of composition to any sounds imaginable. His famous piece 4’33″ incorporates this idea extremely.
This composition and its perspective has proved to be highly relevant in the music after World War II, yet a further development of this point of view could not be deduced. It was the endpoint of a chain of considerations, highly important, but not applicable in general. And there exists a paradox to be identified – a paradox not only regarding J. Cage but all music which is not anonymous and yet pretends to be accidental („aleatoric“): the intention to abandon intention…
This is also true of predictability: the far most part of contemporary music is not predictable at all – at least as far as details are concerned. And this is exactly what we expect when we attend a concert or listen to music of our time: as soon as we think to foresee anything we turn away and are „disgusted“ by the composer’s naivety. However if a composer is ready to unfold an amorphous sounding space without characteristic details („motives“) to be identified (i.e. in a manner of „varietas“!) we feel confirmed and backed up since our expectations are met. But is it not the function of art to disturb, to irritate, to make uncertain, rather than to fulfill expectations, even if they concern unpredictability?
I believe that the consideration of predictability/unpredictability is a crucial aspect of composing. Let us rediscover methods to stimulate expectations again – not to meet them superficially as an instrument of confirmation, but to understand them as a stimulus in the communication process with the listeners, as a way to provoke, or simply to play with them.
[1] „…since I have for the first time decided to compose something that excluded everything that I knew […] oscillations that were unheard; should somebody have heard it before tell me, I will then trash the piece. That is what is important for me: the New.“ Neue Zeitschrift für Musik 7-8/1998, p. 19.
[2] Journal of the Arnold Schoenberg Institute, Vol.1/No.2, pp. 102-105. Los Angeles, 1977.
[3] „The absolute, cosmic music offers the most profound insight into the world’s events. The tones with their overtones are suns with their planets. The sun-systems ‘temper’ each other respectively; their tensions organize themselves with compelling necessity to the harmony of spheres. Zwölftonspiele contain functions of galaxies [… and are] at the same time oracle“games“ similar to those in the Iging, the old Chinese wisdom book“; in: Walter Szmolyan, J.M.Hauer, Vienna 1965, S.5.
[4] ORF – Kunstradio 13.8.1993; c.f. http://www.kunstradio.at/1992B/13_8_92.html (25.1.2010).