Hände
Drei Meditationen für große Orgel nach Skulpturen von A. Rodin [1996] | Dauer: 14’00“
Die drei Hände-Studien von Rodin sind nicht als direkte “Vorlage” für meine Orgelstücke anzusehen, sondern waren für mich Anlass zu musikalischen Phantasien. Es ging mir nur in einzelnen Aspekten um eine “Nachzeichnung” der Skulpturen mit kompositorischen Mitteln, insgesamt viel stärker waren Assoziationen bei der Gestaltung der Musik bestimmend. So ergab sich in mancher Hinsicht eine direkte, oft aber auch eine indirekte Verbindung zwischen Rodins Händen und meiner Musik, die gelegentlich durchaus auch den Charakter eines persönlichen Kommentars angenommen hat.
Zunächst einige Worte über jene Ebene Rodins, die ich nicht angetastet habe: die Symbolik der Skulpturen. Die Skulpturen sind (wie viele andere Werke Rodins auch) Studien über die Liebe: Gott hat, könnte man sagen, die Liebe in Gestalt eines Paares (!) geschaffen, mit all jener Erotik, die der Bildhauer auf so unvergleichliche Weise zum Ausdruck gebracht hat. Die Liebe ist somit „Gottes Haus“ auf Erden: die Kathedrale (es handelt sich um zwei rechte Hände!). All dies freilich ist ein „Geheimnis“.
Dieser Ebene ist nichts hinzuzufügen, zumal Musik ja ohnehin (gute zumindest) stets geheimnisvoll bleibt. Aber es gibt noch andere faszinierende Schichten: das Brüchige, Unfertige etwa, das in Rodins Werken immer eine große Rolle spielt. Ein Bereich auch, der mich fesselt (und der übrigens in der Musik des 20. Jh. eine entscheidende Rolle spielt): abrupte Stimmungsumschwünge, „unfertige“ Entwicklungen, Anti-Schlüsse etc. Auch Liebe ist nie „fertig“. Der Betrachter/Zuhörer kann ja in Gedanken „vollenden“. Die „Hand Gottes“ hat etwas in Gang gesetzt, nichts Fertiges jedenfalls, und wir bemühen uns, nach „Vollendung“ strebend, um Zuversicht. Die Assoziation zum Bach-Choral „Was Gott thut, das ist wohlgethan“ ergab sich für mich aus der meditativen Betrachtung; distanziert allerdings – mit einem Fragezeichen versehen.
Bei der Musik zur Kathedrale standen, mehr als bei den anderen Stücken, formale Überlegungen im Vordergrund: Das Bild der zwei gleichen Hände, die einander durch Ähnlichkeit ergänzen und so Verschiedenheit mit Gleichheit verbinden, ging für mich auf in Gestalt eines zweistimmigen Umkehrungskanons, vorwiegend manualiter gespielt. Wichtig für mich war hier der optische Eindruck der Skulptur: Das Bild der Finger, die, durchlässig, etwas zu halten versuchen, schlug um in ein Netz von Tönen, in komplementärer Rhythmik und mit leicht minimalistischem Einschlag.
Die Rodin-Meditationen setzen, neben all diesen Überlegungen, drei Facetten meines musikalischen Empfindens um: energische Dramatik mit abrupten Stimmungsverläufen, ein Bereich des appassionato vielleicht in der Hand Gottes, lyrische Empfindungen, rätselhaft gebrochen im Geheimnis, und spielerische Motorik in der Kathedrale.
Presse
Martin Lichtfuss‘ „Hände. Drei Meditationen für Orgel nach Skulpturen von Auguste Rodin“ von 1996 künden von Rodin-
Ursula Strohal, Tiroler Tageszeitung, 2.12.2010
Ludwig Lusser an der Orgel des Doms zu St. Pölten